Kontrapunkte - Sonntagsplatt-Plus
Sind die Sommer-Ferien zu lang?

Organisierte Langeweile?
Neun Wochen haben SchülerInnen in Österreich im Sommer Pause von der Schule. Eine lange Zeit für berufstätige Eltern, wenn es gilt, die Ferienbetreuung des Kindes/der Kinder zu organisieren. Mit dem Urlaubsanspruch der Eltern lassen sich nie alle schulfreien Zeiten der Kinder überbrücken, gibt Katrin Leinfellner, Mutter eines Volksschulkindes, zu bedenken. Besonders ohne Rückhalt einer Großfamilie oder in finanziell schwieriger Lage ist Ferienbetreuung ein Kraftakt, weiß auch Pädagogin Susanne Herker. Doch die Hochschulprofessorin betont die Wichtigkeit freier Zeit, in der ein Kind durchaus auch einmal Langeweile erleben sollte.

Neun Wochen Ferien. Eine Pädagogin und eine Mutter teilen ihre Sicht darauf: Kinder brauchen Erholung vom straffen schulischen Zeitkorsett, ist die Pädagogin überzeugt. Die Planung der besten Lösung für die Ferienbetreuung kann Eltern zur Verzweiflung bringen, weiß die Mutter.


Ständig fremdorganisiert zu sein hemmt massiv die individuelle Entwicklung.


Susanne Herker

leitet das Institut für Primarstufe, Elementarpädagogik und Inklusion an der Privaten Pädagogischen Hochschule Augustinum.

Am Ende eines Schuljahres sind sich Eltern, Lehrpersonen und Kinder einig: „Es ist genug!“ Ausspannen und Erholung – ein Loslassen-Dürfen ist notwendig. Das eint Ferien und Urlaub. Eine Zeit der Muße – Tun können ohne Zeitkorsett, sich treiben lassen und vor allem spontanen Bedürfnissen nachgehen dürfen ist unumgänglich notwendig für Körper, Geist und Seele. Kinder sind in der Schule durch enge Zeitvorgaben und Aufträge viele Wochen an „Muss“ und „Soll“ gebunden, wenig an Bedürfnisse, selten an Interessen und schon gar nicht an spontane kreative Einfälle. Wenn die Ferien gefühlt zu lange werden, stellt sich Langeweile ein. Aber ACHTUNG: Sie birgt ein enormes kreatives Potenzial. Jede/r sollte sich immer wieder auf sich selbst zurückgeführt betrachten können.

Auszeit als Entwicklungsquelle
Ständiges Fremdorganisiert-Sein hemmt massiv die individuelle Entwicklung und das Sich-Selbst-Kennenlernen. Fragen wie „Was könnte ich jetzt tun? Was bietet sich in meinen Möglichkeiten an?“ sollten Wege pflastern zu einer Selbstbalance. Unmut, unangenehme Stille wandelt sich zu Gleichmut und nicht zuletzt zu einer „emotionalen Ladestation“ (J. Juul), wenn man Kinder mit wenig allein lässt. Schon bei antiken Philosophen setzte die Muße – eine wohltuende geistige Auszeit – schöpferische Energie frei. Soziale Unterschiede von Null-Angebot bis Kinderzirkus und Ferienlager, sowie gegebenenfalls Vergessenskurven können hier nicht diskutiert werden. Sie sind Tatsachen. Betreuungsprobleme für Eltern sind eine systemische bzw. gesellschaftliche Frage. Der WERT einer Auszeit von Pflicht und Soll ist hingegen eine pädagogisch und psychologisch unentbehrliche Entwicklungsquelle.


Eine lückenlose Ferienbetreuung ist für berufstätige Eltern nicht möglich.


Katrin Leinfellner

ist vollzeitbeschäftigt und Mutter einer 9-jährigen Tochter.

Spätestens Anfang April gehen die ewig gleichen Gespräche unter Eltern los: „Wisst’s ihr schon, wie ihr im Sommer tut’s?“. Ja, wie? SchülerInnen kommen im Jahr auf 13,5 Wochen Ferien, exklusive Feiertage und so genannte schulautonome Tage. Jeder Elternteil – so zwei davon zur Verfügung stehen – hat insgesamt fünf Wochen Urlaub. Eine lückenlose Betreuung wäre selbst dann nicht möglich, wenn man auf gemeinsamen Urlaub verzichtet. Ach ja, und da wären auch noch sonstige freie Tage, Krankheiten, Arztbesuche etc.
Das System geht also davon aus, dass a) ein Elternteil nicht werktätig ist, b) ohnehin Omas, Opas etc. einspringen oder c) Eltern Zauberkräfte besitzen.

Was ist eine gute Lösung?
Aber da war noch was: Halleluja, Ferienbetreuung! Als Besucherin einer städtischen Volksschule hat meine Tochter das Glück, dass in beinahe allen Ferien ganztägig Betreuung angeboten wird. Mit anderen Kindern spielen, ab und zu Programm wie Kino, Ausflüge etc. – das Angestelltenherz jubelt. Und das Mutterherz auch, weil ich nicht davon ausgehe, dass mein Kind mit mir zu Hause mehr Spaß hat als anderorts mit anderen Kindern. Aber nicht an allen Schulen gibt es das, und andere Angebote wie Sport- und Kreativwochen haben ihren Preis. Ich bin also sehr froh. Bis jemand zu mir sagt: „Die armen Kinder, die haben ja keine Zeit mehr zum Entspannen!“ oder „Meine Kinder gehen nicht in die Ferienbetreuung, die fahren x Wochen zu Oma, Onkel, Kusine etc. nach xyz!“ – Schluck. Ist die „gute Lösung“ also doch nicht so gut? Sind wir schlechte Eltern? Wird unsere Tochter als Erwachsene unglücklich und/oder Schwerverbrecherin? Man kann’s nie wissen, aber: wahrscheinlich nicht.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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