Interview
Wie der Mensch ist

Wachsamkeit, genaue Beobachtung und das Talent zu expressiver Abstraktion zeichnen Leben und Werk von Sr. Ruth Lackner, FIC., (80) – hier vor ihrem Bild „Murengel“ – aus. | Foto: Neuhold
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  • Wachsamkeit, genaue Beobachtung und das Talent zu expressiver Abstraktion zeichnen Leben und Werk von Sr. Ruth Lackner, FIC., (80) – hier vor ihrem Bild „Murengel“ – aus.
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Die Franziskanerin und Künstlerin Sr. Mag. art. Ruth Lackner, FIC., im Gespräch mit Gertraud Schaller-Pressler über verwundetes Brot, den Trost auf der Straße und den Schatz des geweihten Lebens.

Sie sind als Ordensfrau und Künstlerin sehr am Weltgeschehen interessiert.
Wo sind Ihre Wurzeln?

In Saaz bei Paldau in der Oststeiermark. Der Vater war in Feldbach beim Tierzuchtverein Zuchtwart. Er musste immer weit mit dem Fahrrad herumfahren, um Milchproben zu machen und sein Geld zu verdienen. Die Mutter war Hausfrau und in der Landwirtschaft tätig. Wir haben eine ganz kleine
Landwirtschaft gehabt, sodass wir das Essen für die sechs Kinder gehabt haben.

Ihr ältester Bruder hat auch einen geistlichen Weg eingeschlagen?
Der Franz ist Priester geworden, 1967 nach Indonesien aufgebrochen und bis heute
dort als Steyler Missionar tätig.

Wie kamen Sie zu den Franziskanerinnen?
Ich bin in Feldbach in die Volksschule der Schulschwestern gegangen. Dort haben sich einige bemüht, Kinder auch in ihre Hauptschule nach Graz-Eggenberg zu bringen.
So bin ich als Zehnjährige – mein Mädchenname war Johanna – hierher gekommen. Ich war damals die Kleinste in der Kandidatur. Und ich habe immer schon gern gezeichnet.

Wer hat Sie besonders gefördert?
Sr. Irmentraud König, eine sehr engagierte Kunsterzieherin, und Religionsprofessor Josef Pfandl, der uns mit seiner weiten Sicht wirklich eine Welt eröffnet hat. Er bemerkte einmal, ich hätte „eine andere Sprache“.

Welche Ausbildungen haben Sie absolviert?
Ich habe die Lehrerinnenbildungsanstalt der Schulschwestern und die Meisterklasse für Malerei an der Kunstgewerbeschule am Grazer Ortweinplatz besucht. Mit 20 Jahren bin ich als Novizin eingetreten. Zudem habe ich an Internationalen Sommerakademien für bildende Kunst in Salzburg teilgenommen.

Wie kam es, dass Sie in Wien an der Akademie der bildenden Künste studierten?
Ich dachte, ohne dass ich etwas kann, geh ich gar nicht zur Aufnahmeprüfung hin, schon gar nicht als Ordensfrau. Aber es war überhaupt kein Problem – ich ging mit meiner großen Mappe hin, zeigte meine Arbeiten, und schon war ich aufgenommen. Zu meinen Lehrern zählten neben Josef Mikl auch
Wolfgang Hollegha und Martin Polasek.

Waren Sie als Ordensfrau eine Exotin an der Akademie?
Nein, in der Klasse war es kein Thema. Sie haben halt auch Leute zusammengesucht,
die ein bisschen interessant waren. Ich studierte Lehramt für Bildnerische Erziehung sowie Textiles Gestalten und Werken.

Sie haben Ihren Bruder P. Franz Lackner in Indonesien besucht …
Von 1986 bis 1987 war ich ein Jahr dort, um zu schauen, wie es meinem Bruder geht. Wir hatten damals keine richtigen Nachrichten von ihm. Ich dachte, ich fahr einfach hin. Indonesien war noch Kriegsgebiet und das Ganze sehr kompliziert. Aber ich habe es geschafft.

Wie haben Sie Indonesien erlebt?
Zuerst war ich auf der größeren Insel Rote, wo mein Bruder war, und später ein halbes Jahr lang auf der Insel Sabu. Das war schon sehr eindrucksvoll, eine Insel, die so am Rande ist. Die Leute dort haben meinen Bruder damals ja geholt, weil sie sich nicht zu helfen wussten.

Der Erlös Ihrer Ausstellungen ging auch in diese Missionsarbeit?
Meine Familie und Bekannte haben eine Art Verein gegründet, um meinen Bruder zu unterstützen, der Schulen und Internate baute und sich bis heute um Kranke und Arbeitsuchende kümmert.

Ihre jüngste Ausstellung im „Quo vadis“ in Wien trug den Titel „Teil – Teilen“?
Teilen ist mir wichtig. Man kann nur teilen, was man hat. Zugleich ist man selbst auch immer Teil des Ganzen und kann nicht sagen, man gehört nicht dazu. Wenn man den täglichen Überlebenskampf um Nahrung und gegen Krankheiten einmal gesehen hat, kann man sich nicht mehr absetzen.

Wie kommen Sie zu Ihren Ideen?
Die Idee ist oft schnell da. Mich interessiert sehr, wie der Mensch ist. Ich habe auch bei Rudolf Szyszkowitz gelernt, der davon sehr viel verstanden hat. Und natürlich fallen einem die Themen durch die Bibel ein – und durch das tägliche Gebet. Auch der heilige Franziskus hat mich immer sehr fasziniert.

Was beschäftigt Sie als Künstlerin besonders?
Brot war einmal mein großes Thema. Neben Bildern zu Brot und Wein gestaltete ich eine Patene, in die ich eine Brotscheibe hineingeätzt habe. Und ich habe auch größere Installationen mit Broten aus Ton gemacht – um das Selbstverständliche im Leben zu meditieren.

Wie kam es zu Ihren Keramik-Broten?
Ich habe mich an meine Großmutter erinnert: Wenn sie Brot gebacken und das Ofentürl aufgemacht hat, schien es, als würden die Laibe glühen – dieses Brot, das mit seinen Einschnitten irgendwie verwundet ist. Und wenn man zu Schulschluss schaut, was die Kinder alles wegwerfen, dann findet man auch Brot. Das habe ich ebenso aus Keramik abgeformt: Es ist das zertretene Brot mit einem Schuhabdruck drauf.

Sie waren Präsidentin des Künstlerbundes Graz und sind jetzt Mitglied der NationalparkmalerInnen?
Die NationalparkmalerInnen hat eine ehemalige Studienkollegin aus Osttirol gegründet. In diesem Zusammenhang habe ich das Bild „Murengel“ geschaffen. Es zeigt die hl. Apollonia, die als Glasfenstermotiv der Wehrkirche St. Leonhard ob Tamsweg im Flusswasser zu sehen ist. Um dieses Ineinander aufzuzeigen: Einerseits ist die Mur für das Leben immer schon wichtig gewesen, andererseits ist sie aber auch gefährlich. Und wie das Wasser ist Glas transparent, bietet aber auch Schutz.

Wann drängt es Sie, künstlerisch zu arbeiten?
Wenn etwas momentan passiert, mit dem ich sonst nicht zurechtkomme. Etwa als im Kosovo-Krieg in Belgrad das Licht ausgegangen ist, weil die Nato Graphitbomben auf die Stadt geschmissen hatte. Diesen Schock – das Licht ist weg! – habe ich bearbeiten wollen. Als ich im Keller Glaskugeln von unseren alten Gangbeleuchtungen fand, trug ich darauf mit meinen – in heißes Wachs getauchten – Händen Graphitstaub auf. Sozusagen als
der letzte Griff nach dem Licht.

Was gibt Ihnen Trost?
Den Trost findet man auf der Straße oder überall, könnte man sagen. In der Begegnung und wenn ich jemand ansprechen kann. Als ich bei meiner letzten Ausstellung den Kelch mit den Infusionsschläuchen gezeigt habe, hat ein Betrachter gesagt: „Das ist meins, das gibt mir etwas.“ Weil er als Kind eine Herz-Operation hatte und ihm diese vielen Schläuche in Erinnerung geblieben sind.

Woran arbeiten Sie aktuell?
Da ich schlechter sehe, konzentriere ich mich auf Hell-Dunkel-Arbeiten, die sich mit Sätzen Jesu beschäftigen wie „Wer… der werfe den ersten Stein“. Manchmal fische ich auch Gedanken auf wie: „Die Sehnsucht ist das Zerbrechlichste“: Daraus entstand ein Bild, in dem sich alles – selbst eine Mumie – nach der Auferstehung ausstreckt.

Was bedeutet ein „geweihtes Leben“ für Sie?
Ich hab‘ kein anderes (lächelt). Und es ist so, dass das tägliche Gebet und die ständige Beschäftigung mit und auch der Austausch über die Bibel – dass dieses religiöse Leben ein großer Schatz ist.

Interview: Gertraud Schaller-Pressler

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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