KULTUM - Ausstellung
Kunst als Gebet

7Bilder

Die „Schrift-Ikonen“ von Heribert Friedl im KULTUM.

Kann Gebet zum Gegenstand zeitgenössischer Kunst werden? Es kann. Die aktuelle Ausstellung im KULTUM Graz, bis 6. Jänner zu sehen, zeigt stille Schrift-Ikonen von Sehnsucht, transzendierter Trauer und Trost.
Der ursprünglich aus dem steirischen Feldbach stammende, an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien lehrende Künstler Heribert Friedl ist eigentlich seit Jahrzehnten für seine „nonvisual-objects“ bekannt: Sein Interesse galt über Jahrzehnte dem Bildlosen, dem fast Unsichtbaren, dem, was man höchstens mit Gerüchen wahrnehmen kann. Dafür präparierte er über Jahre Wände, worauf man nichts sehen, die man aber riechen konnte.

Nun aber malte Friedl in den vergangenen anderthalb Jahren in einer „Druckwelle“ von Inspiration Sprachverdichtungen von ungeheurer Einfachheit und Schönheit. Ursprünglich aus einem Moment existenzieller Trauer begonnen, entstanden insgesamt 100 Bilder, die bei den Minoriten über Weihnachten 2023 zu sehen sind. Am 6. Jänner wird dann auch ein „Büchlein“ präsentiert – 240 Seiten! –, welches die Form eines „Gebetbuchs“ hat: Auf der rechten Seite ein Wort, ein Satz, ein Ausruf, auf der linken Seite ein Bildchen mit demselben Wort, diesmal auf Englisch. Wie damals, als es noch Gebetbücher gab. Oder, gehen wir weiter zurück: wie damals, als begüterte, tief fromme Menschen sich die besten Illustratoren leisteten und mit kostbaren Bildern illustrierte „Stundenbücher“ bestellten. Die wir heute als die großen Schätze in Bibliotheken verwahren. Oder, tauchen wir wieder in die Jetztzeit auf: wie so eine Art „Taschenkalender“ für den Tag.
In der Realität sind diese im Büchlein gesammelten „Andachtsbilder“ – oder Lebensweisheiten – freilich ganz real gemalte Bilder auf MDF-Holzplatten. Sie sind im tonnengewölbten Raum des ehemaligen Refektoriums im alten Minoritenkloster aufgereiht. Doch kein Kitsch, kein Historismus, keine Welt von gestern kommt da ins Bild, im Gegenteil. Die Worte, die Sätze sind dem puren Leben entnommen, seiner Endlichkeit und seiner Bewältigung, seiner Hoffnung und seiner Begabung zur Transzendenz. Als reale Bilder (Kunstwerke) haben diese „Schriftikonen“ einen Körper. Es sind kleine Bilder, mit wohldosiert organisierten Farbflächen, die mit jeweils englischen Sätzen oder Worten korrelieren. Der Titel der Ausstellung weist sie als reduzierte Gedichte aus.

Ist diese Welt, von der sie handeln, eine vergangene? Die „Auswüchse“ in Form von Kreuzen in der alten Schrift, ihr Schriftschnitt insgesamt weisen sie jedenfalls in eine andere Zeit. Vielleicht stellen die Kreuzchen die übliche Geschlechterdifferenzierung in Frage? Oder lösen sie auf? Die Worte auf den Bildern – „Gedichte“ – beginnen mit Gesprächen mit einem geliebten Menschen, der nicht mehr lebt: Ein „endloser Sommer“ bezeichnet den Todestag. Nach und nach werden diese Gespräche zu Anrufungen, zu Dialogen ins Jenseits, aber mindestens auch zu Bewältigungen für das Jetzt.

Am Ende werden diese Worte und Sätze, die den Charakter einer transzendierten Du-Erfahrung haben – mit Anrede, Anrufung, Dank, Fragen, ja fast Lobpreis – in eine stille Allgemeinheit verwandelt. Es sind keine Sätze mehr, keine Fragen, keine Behauptungen, keine Zusprüche für sich selbst, es sind nur mehr einzelne Worte, die etwas und gleichzeitig alles bezeichnen, wozu Leben im Stande wäre, ist oder sein wird, mit seiner Sehnsucht, Herkunft, Beziehungsfähigkeit, seinen Emotionen und der Hoffnung auf ein wort-loses Verstehen: „Irgendwo“, „Anfang“, „Kontemplation“, „Korrektur“, „Traum“, „Ende“, „Ewigkeit“, „Alles“, „Existenz“, „Vater“, „Angst“, „Gefühl“, „Hören“, „Himmel“, „hier“, „Hoffnung“, „Freude“, „Zärtlichkeit“, „Barmherzigkeit“, „Mutter“, „Nichts“, „Jetzt“, „Schau“, „Einfachheit“, „einmal“, „Geist“, „Berührung“, „Verstehen“, „wortlos“.

Johannes Rauchenberger

Ausstellung
Heribert Friedl: 100 POEMS
KULTUM, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz.
Bis 6. Jänner 2023, Di–Sa, 11–17 Uhr
Künstlergespräch mit Heribert Friedl: 30.12.2023, 11 Uhr; Finissage mit Buchpräsen-tation (240 Seiten): 6. Jänner 2024, 11 Uhr
www.kultum.at/heribert-friedl

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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