Positionen - Christian Teissl
Von einem guten Wind getragen

Loslassen, durchatmen, einmal nicht an Termine und Fristen denken, statt in den vollen Terminkalender in den blanken, blauen Himmel schauen, unerreichbar sein, Pause machen, Urlaub machen, nichts tun – so klingt Jahr für Jahr das Leitmotiv des Sommers, wenigstens in unseren privilegierten Breiten.

Ein Loslassen nicht nur auf Zeit, sondern für immer und nicht nur in einem äußerlichen, sondern einem tiefgreifenden, umfassenden Sinne predigt der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart: „Hast du dich selbst losgelassen, so hast du wirklich losgelassen.“ Mit anderen Worten: Wirf ab, was du warst, was du bist! Gib dich preis, lass dich fallen – und du wirst geborgen sein!

Wer aber hat die Kraft und die Bereitschaft zu solcher Selbstaufgabe? Braucht es nicht ein ganzes Leben, sie zu erlernen? Ist man, wenn überhaupt, nicht erst in der allerletzten Minute dazu bereit? Doch ob der Weg dahin weit ist oder kurz, gewunden oder gerade, es kommt darauf an, ihn zu gehen, ohne ängstlich zu fragen, was einen am Ende erwartet: „Sollte jemand in eine Stadt gehen und wollte schon überlegen, wie er den letzten Schritt täte, so würde nichts daraus“, sagt Meister Eckhart. „Darum soll man der ersten ­Eingebung folgen und so voranschreiten.“

Der ersten Eingebung folgen, das heißt nicht einer Laune nachgeben, sondern annehmen, was die Stunde schenkt, und sich getragen wissen von einem guten Wind, wohin immer er einen auch weht, nicht nur zur Urlaubszeit, sondern zu allen Zeiten, den hellen wie den dunklen.

Christian Teissl

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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