Positionen - Karl Veitschegger
Bevorzugt

Es ist geschmacklos, wenn mitten in der Corona-Krise ein Wiener Innenstadt-Priester in der Zeitung ungeniert von seinem Wohlstand labert: „Supermärkte kenne ich nur vom Segnen, nicht vom Einkaufen. Ich wüsste nicht mal, wo ich dort Milch oder Butter finde. Darum nehme ich zurzeit Essensgeschenke gern an.“ Im Lockdown fallen ja Abendtermine mit gutem Essen aus. Über seine Köchin, die für den Mittagstisch sorgt, sagt er: „Fischgerichte waren anfangs nicht ihre Stärke. Ich habe dann Haubenkoch Manfred Buchinger gebeten, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Nach vier Tagen Crashkurs beherrschte sie schließlich auch die Fischzubereitung.“
Es geht mir nicht darum, hier einen beliebten „Seitenblicke-Seelsorger“ mit Steinen zu bewerfen. Der Mann hat auch seine großen Verdienste. Aber diesmal hat er wohl aus lauter Freude über sich selbst das Gespür für jene Leser und Leserinnen verloren, die unter der Pandemie schwer leiden, die um ihren Arbeitsplatz bangen und nicht wissen, wie sie mit ihrer Familie über die Runden kommen werden.
Ich selbst gehöre zu den vom Schicksal Bevorzugten. Ich beziehe regelmäßig meine Pension, niemand in meiner Familie ist ganz schwer an Corona erkrankt, niemand vom Jobverlust bedroht. Da vergisst man allzu leicht die „anderen“. Der Papst hat Recht, wenn er die „Bevorzugten“ und „Krisengewinner“ (auch die gibt es!) auffordert, über die eigene Schicksalsblase hinauszuschauen, hinauszufühlen und auch etwas vom eigenen Wohlstand abzugeben. Beherzigen wir seinen Aufruf. „Liebe deinen Nächsten – er ist Mensch wie du!“

Karl Veitschegger

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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