Mutworte - Sabine Petritsch
Benennen, was ist

Foto: Neuhold

In Büchern und Filmen die „Mut“ beschreiben, tauchen oft wilde Tiere, SuperheldInnen und große BezwingerInnen von Angst auf. Mich inspirieren sie weniger. Ich selber ziehe jenen Mut vor, der oft unbemerkt inmitten des Alltags in der Natur und im Menschen begegnet.

So lässt mich zuallererst das Wort Mut an eine ältere Dame denken, die sich radikal der ehrlichen Wahrnehmung verpflichtet fühlt und diese auch ausspricht. Ungefragt und ungebeten, aber nicht unangebracht. Ihre Wahrnehmungen sind das, was sie sind; was sie in diesem konkreten Moment gerade fühlt und denkt, spricht sie aus – und sie sind nur selten in Wattebausch und Plüsch gekleidet, wenn auch in schöner Sprache ausgedrückt. 

Einmal war ich mutig genug, zurückzumelden, das ist ganz schöne Kost, was mir zugesagt wird! Antwortet sie, ja, nimm es oder nicht. Ich habe aufgehört, nur das zu sagen, was die anderen hören wollen. Ich erlaube mir das. Ich antworte, ganz schön unerschrocken; meint sie, ja, so kann man es auch sagen. Sieht mich dabei freundlich an. Ein zärtlicher, weiser Blick trifft mich. Diese Kombination von radikaler Benennung einer Wahrnehmung und dem wärmenden Anschauen wirkt verändernd nach. Inmitten eines Alltags, auf offener Straße, ein Sprechakt von nicht einmal fünf Minuten. Mutige Menschen verändern.

Sabine Petrisch ist Theologin und zertifizierte Pastoralpsychologin.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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