Religionen
Verstehen und handeln

„Politische Slogans und Parolen gehören weder an die Außenmauern einer Synagoge, Kirche und Moschee noch vor die Mikrofone ihrer Innenräume. Wer immer solche politischen Fragen mit religiösen Ansprüchen vermischt, leistet dem Frieden keinen guten Dienst.“ | Foto: Neuhold
  • „Politische Slogans und Parolen gehören weder an die Außenmauern einer Synagoge, Kirche und Moschee noch vor die Mikrofone ihrer Innenräume. Wer immer solche politischen Fragen mit religiösen Ansprüchen vermischt, leistet dem Frieden keinen guten Dienst.“
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„Wir müssen uns dem Phänomen des Antijudaismus stellen“, ist Markus Ladstätter überzeugt. Der Religionen-Kenner setzt voll auf den interreligiösen Dialog.

Dramatische Szenen an der Grazer Synagoge: Konnte man die Beschmierung der Außenwände mit propalästinensischen Parolen noch als Vandalismus verurteilen und einordnen, so hat die Eskalation der Gewalt gegen Gebäude und letztlich gegen einen Menschen weit tiefere Abgründe aufgetan, gegen die sich zu Recht ein nahezu geschlossener Konsens über alle Religions-, Partei- und sonstigen Grenzen hinweg deutlich artikuliert.
Die Identifizierung und Verhaftung eines mutmaßlichen Täters hat naturgemäß etwas Beruhigendes und bietet sowohl erste Erklärungsmuster – von „Islamismus“ über „Trauma“ bis zu „Verwirrung“ – als auch Gelegenheit zu ersten Versuchen politischer Profilierung. Doch all dies ist zu kurz gegriffen: Wir müssen uns dem Phänomen des Antisemitismus stellen, oder besser gesagt: Antijudaismus, denn die hier zu Tage getretene Aggression richtet sich nicht gegen alles Semitische (zu dem der Angreifer als Syrer vermutlich ja selbst gehört), sondern gegen alles Jüdische.
Antijudaismus hat viele Wurzeln; es gibt ihn seit der vorchristlichen Antike. Dieser kurze Beitrag kann das komplexe Phänomen nicht vollständig aufarbeiten. Jedoch ist in den zwei Jahrtausenden Christentumsgeschichte das Jude-Sein Jesu über lange Strecken, vielfach auch durch polemische Auseinandersetzungen, in Vergessenheit geraten. So wenig die Shoa im 20. Jh. als katastrophaler Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte das Werk christlicher Kräfte gewesen ist, so klar ist andererseits, dass Juden abwertende Bibelinterpretationen in den abendländischen Kirchen zu einem Klima beigetragen haben, in dem solche Verirrungen möglich waren. Dies bedeutet für uns heute lebende Christinnen und Christen eine entsprechende Verantwortung für die ehrliche Aufarbeitung des Geschehenen. Sie schließt unseren Einsatz dafür ein, dass Jüdinnen und Juden in Sicherheit, Frieden und Würde leben können.
Ein besonderer Aspekt ist dabei der Staat Israel, der sich auch in diesem Sinne versteht und in dem verschiedene Völker und Religionen leben. Israel fasziniert nicht nur durch seine landschaftlichen und kulturellen, wirtschaftlichen und technischen Superlative, sondern vor allem auch als nahezu einziges Land in weitem Umkreis mit einer funktionierenden Demokratie in unserem Sinn. Sein Existenzrecht verdient unsere uneingeschränkte Unterstützung. Gleichzeitig ist dieses selbe Israel aber auch ein Staat, der Siedlungen in besetztes Land baut. Sein Premierminister schafft Arabisch als zweite Nationalsprache ab, will das eroberte Jordantal annektieren und erklärt offen, dass Israel nicht das Land aller seiner Bürger sei. Die Frage nach den Rechten der Palästinenser bleibt unbeantwortet. Dieses politische Spannungsfeld muss politisch, rational und möglichst respektvoll diskutiert werden – ohne Spraydosen, Steine und Schlagstöcke, aber umgekehrt auch ohne den Pauschalvorwurf des „Antisemitismus“. Politische Slogans und Parolen gehören weder an die Außenmauern einer Synagoge, Kirche und Moschee noch vor die Mikrofone ihrer Innenräume. Wer immer solche politischen Fragen mit religiösen Ansprüchen vermischt, leistet dem Frieden keinen guten Dienst.
Weil letztlich der Geist Realitäten schafft, können wir alle unseren Beitrag für eine friedliche und gerechte Zukunft einbringen. Der Weg dorthin führt über ehrliche Selbsterkenntnis, Anerkennung des anderen, Bildung und Dialog.

Markus Ladstätter

Experte für Religionen
Dr. Markus Ladstätter ist Leiter der Kommission für den interreligiösen Dialog der Diözese
Graz-Seckau und Geschäftsführender Vorsitzender der Kommission Weltreligionen der Österreichischen Bischofskonferenz.

Die Vandalenakte gegen die Grazer Synagoge und noch viel mehr der gewalttätige Angriff haben mich tief betroffen gemacht, sind sie doch zutiefst abzulehnende Handlungen, die allen wichtigen Werten unserer Gesellschaft widersprechen. Unser Gebet gilt der jüdischen Gemeinde – aber auch jenen, die solche Gewaltakte setzen, damit sie zurückfinden zu vernünftigen und menschenwürdigen Wegen des Miteinander.

Bischof Krautwaschl

siehe Artikel:
Verbunden im Gebet

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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