Interview - Ukraine
Kraft schöpfen

Der Lemberger Weihbischof Volodymyr Hruza nennt als eine wichtige Aufgabe der Kirche in der Ukraine, die Menschen und besonders die Familien von Soldaten seelsorglich zu begleiten. Leider gehört auch das Begraben von Gefallenen zum kirchlichen Alltag. | Foto: privat
  • Der Lemberger Weihbischof Volodymyr Hruza nennt als eine wichtige Aufgabe der Kirche in der Ukraine, die Menschen und besonders die Familien von Soldaten seelsorglich zu begleiten. Leider gehört auch das Begraben von Gefallenen zum kirchlichen Alltag.
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Ukraine. Von einem Stück Normalität und auslaugenden Kriegsstrategien erzählt der Weihbischof von Lemberg.

Volodymyr Hruza ist seit 2016 Weihbischof der griechisch-katholischen Erzdiözese Lemberg (Lviv) in der Westukraine. 2018 hat er mit einer großen Gruppe ukrainischer Jugendlicher am ökumenischen Taizétreffen in Graz teilgenommen und den Kontakt seitdem aufrechterhalten. Alois Kölbl hat mit ihm über den Krieg in der Ukraine, die Auswirkungen auf Kirche und Gesellschaft und die von einem Priester aus der Erzdiözese Lemberg betreute ukrainische griechisch-katholische Gemeinde in Graz gesprochen, die ihre Gottesdienste in der Pfarrkirche Karlau feiert.

Vor ein paar Wochen hast Du mir ein berührendes Bild mit einer Gruppe von kleinen Kindern vor einem Marienbild geschickt und geschrieben, dass die Kinder danken, dass sie unverletzt geblieben sind. Was war geschehen? Wie wirkt sich der Krieg in der Stadt Lemberg, die ja nicht unmittelbar an der Kriegsfront liegt, aus?
Volodymyr Hruza: Es gibt in der Ukraine zur Zeit überhaupt keinen sicheren Ort, an dem man vom Krieg unberührt leben könnte. Die unmittelbare Kriegsfront ist von Lemberg, das im Westen der Ukraine liegt, weit entfernt, aber der Krieg ist trotzdem sehr nahe. In einer Nacht im Juli wurde die Stadt bombardiert und neben anderen Objekten ein Waisenhaus von Raketen getroffen. Das Dach und der Dachboden des Gebäudes wurden beschädigt, und ein paar Tage später brachen Gebäudeteile ein, sodass die Kapelle im Haus zerstört wurde. Ein paar Tage später sind die Betreuerinnen mit den Kindern an die Stelle gegangen und haben in Dankbarkeit ein Gebet gesprochen, weil die Kinder nicht verletzt worden waren. Die Kapelle wurde erst vor ein paar Jahren eingeweiht, im heurigen Frühling hat dort eine große Tauffeier von sechzehn Kindern stattgefunden. Beim Bombentreffer haben wir sehr stark den Schutz der Mutter Gottes gespürt.

Wie ist zur Zeit die Lage in Lemberg?
Ruhig und zugleich auch sehr angespannt. Besonders angespannt wird die Situation immer dann, wenn es Raketenalarm gibt, und das kommt immer wieder vor. Man weiß ja nie, wo die Raketen einschlagen. Im Prinzip ist das überall möglich. Besonders dramatisch ist es, wenn in der Nacht die Sirenen ertönen. Die russischen Angriffe auf zivile Ziele sind eine Methode, um die Menschen auszulaugen und zu erschöpfen. Andererseits haben wir jetzt gerade Sommer, alles ist wunderbar grün, die Sonne scheint, es ist warm, die Menschen sind draußen und gehen spazieren. So ein Stück Normalität im Leben ist auch psychologisch sehr wichtig, um sich vom Dauerstress durch den Krieg zu erholen. Auch das kulturelle Leben kann stattfinden.

Wir sind als Volk insgesamt traumatisiert und verletzt.

Hat sich das kirchliche Leben in eurern Diözese seit Kriegsbeginn verändert?
Das, was immer bleibt und bleibend wichtig ist, ist der pastorale Dienst an den Menschen. Diesbezüglich hat sich gar nichts verändert. Die Sozialarbeit hat aber viel mehr Gewicht bekommen, vor allem durch die Flüchtlinge aus anderen Landesteilen, die zu uns gekommen sind. Leider gehören zu unseren Aufgaben die Begräbnisse der getöteten Soldaten und natürlich die Begleitung der trauernden Familien. Wir haben von Seiten der Kirche ein Programm, das nennen wir: „Die Wunden des Krieges heilen“. Es wird auch in unserer Erzdiözese stark wahrgenommen. Dabei beginnen wir mit speziellen Schulungen für die Priester, um besser mit den Menschen in den Belastungen durch den Krieg umgehen zu können. Es freut mich sehr, dass das pastorale Leben weitergeht und Seelsorge funktioniert. Wir machen etwa Kinderlager in den Pfarren und hoffen, dass im Herbst das Schul- und Universitätsjahr wieder ganz normal beginnen kann. Die Bildung ist nach den Jahren der Pandemie und im Krieg eine der besonders großen Herausforderungen.

Wie leben die Menschen mit dem Krieg? Was gibt ihnen Hoffnung?
In der Ukraine herrscht ja schon seit neun Jahren Krieg, nicht erst seit der kriegerische Überfall Russlands vor einem Jahr begonnen hat. Aber an eine Kriegssituation kann man sich nie gewöhnen. Man kann es nur akzeptieren, denn wenn man damit nur hadert, geht es einem noch schlechter. Die Menschen wissen nur eines mit Sicherheit: Es gibt keinen Weg zurück. Denn es gibt schon so viele Opfer. Die Ursache des Krieges ist der Imperialismus unseres Nachbarn. Die Menschen hier wissen, dass es um alles oder nichts geht. Deswegen sind wir auch als ganze Nation insgesamt im Krieg, um unser Land zu verteidigen, und die Menschen glauben an den Sieg.

Wie versucht die Kirche den Menschen an der Front, aber auch den Menschen zu Hause beizustehen und zu helfen? Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Die Kirche muss ihrem Wesen und ihrem Auftrag treu bleiben. Wir sind nicht einfach eine Sozialeinrichtung und auch keine politische Macht. Wir haben die Sakramente. Daraus schöpft die Kirche ihre Kraft. Unsere Aufgabe ist es, die Menschen spirituell und pastoral zu begleiten. Das Wichtigste zur Zeit ist die Begleitung der Soldaten und deren Familien. Wir laden die Menschen zu Gottesdiensten ein, auch Wallfahrten und Einkehrtage für jene, die einen Verwandten verloren haben, finden statt. Wir sind als Volk insgesamt traumatisiert und verletzt. Damit müssen wir als Kirche umgehen. Wir verweisen auch an Einrichtungen, wo Menschen psychologische und psychotherapeutische Betreuung bekommen, wenn dies notwendig ist.
Die Problematik ist wirklich sehr komplex, und wir versuchen, möglichst umfassend darauf zu reagieren.

Seit einiger Zeit feiert die griechisch-katholische ukrainische Gemeinde in Graz ihre Gottesdienste in der Pfarrkirche Karlau. Die Gemeinde ist gewachsen, weil Flüchtlinge vor allem aus der Ostukraine dazugestoßen sind. Österreich ist von der römisch-katholischen Tradition geprägt. Viele Menschen bei uns wissen nur sehr wenig oder gar nichts über die griechisch-katholische Kirche. Wie ist es zur Gründung der griechisch-katholischen Kirche gekommen, und wie ist ihr Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche?

Die ukrainische griechisch-katholische Kirche ist eine katholische Kirche, auf diesem gemeinsamen Fundament stehen wir. Die katholische Kirche hat verschiedene Riten, um ihren Glauben zu leben, wir gehören zur byzantinischen Tradition. Insgesamt gibt es dreiundzwanzig sogenannte Ostkirchen eigenen Rechts, die mit der lateinischen Kirche in Glaubens-, Gebets- und Sakramentengemeinschaft stehen. Nach der Spaltung zwischen byzantinischer Ost- und lateinischer Westkirche seit dem Jahr 1054 gab es 1596 die Kirchenunion, die zwischen unserer Kirche und dem Papst unterschrieben wurde. In der Zeit der Habsburger, die auch auf dem Gebiet der heutigen Ukraine herrschten, bekam unsere Kirche von Kaiserin Maria Theresia den Namen „ukrainische griechisch-katholische Kirche“. Sie ist sozusagen die Taufpatin unserer Kirche als deren Namensgeberin. Unter Maria Theresia erhielten unsere Priester auch die gleichen Rechte wie die römisch-katholischen Priester. Mit der Orthodoxie verbindet uns nicht nur der gemeinsame Ritus, sondern auch die Sakramente, die wir, so wie auch die römisch-katholische Kirche, anerkennen.

Hat der Angriffskrieg Russlands auch das Verhältnis der christlichen Konfessionen zueinander verändert?
In Kiew gibt es den all-ukrainischen Kirchenrat, wo sich alle Konfessionen und Religionsgemeinschaften versammeln und miteinander austauschen. Wir beten auch miteinander und machen gemeinsame Veranstaltungen, das ist sehr gut und auch wichtig. Das hat sich auch mit dem Kriegsausbruch nicht verändert. Natürlich gibt es da auch die Problematik mit der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Aber das ist eher ein innerorthodoxes Problem.

Wie werden in der Ukraine die Friedensbemühungen von Papst Franziskus wahrgenommen? Was würdet ihr euch von der Kirchenleitung in Rom wünschen?
Um die Menschen hier zu verstehen, muss man hier herkommen und mit den Leuten sprechen. Deswegen finde ich es sehr gut, wenn Vertreter aus Rom in die Ukraine kommen, um sich ein Bild zu machen. Was der Papst selber gerade in einer so schwierigen Situation unternimmt, geschieht nicht nur in der Öffentlichkeit, vieles passiert hinter den Kulissen. Darauf hoffe ich wirklich. Natürlich wünscht sich unser Volk auch so etwas wie väterliche Zuwendung. Kardinal Zuppi hat als Gesandter des Papstes bei seinem letzten Besuch gesagt, dass es zunächst das Aller-wichtigste ist, den Menschen zuzuhören.
Das finde ich sehr wichtig.

Was wünscht du dir für die griechisch-katholische ukrainische Gemeinde in Graz, die von einem Priester aus deiner Diözese seelsorglich betreut wird?
Wir freuen uns, dass der Start so gut möglich war. Die Anfrage bezüglich eines Priesters für die Gemeinde kam von Kardinal Schönborn, der für die katholischen Ostkirchen in Österreich zuständig ist. Ich wünsche ein gutes Miteinander, letztendlich geht es bei der Feier in verschiedenen Riten um die Einheit in der Vielfalt, das ist ein Schatz unserer katholischen Kirche. Das funktioniert gerade auch, wenn man die eigene Identität bewahrt. Wichtig ist es, miteinander und nicht neben- oder gegeneinander zu gehen. Das wünsche ich der Gemeinde, die in der Pfarre Graz-Karlau Gastfreundschaft erfährt. Wir sind miteinander unterwegs, das ist der schöne Weg der Kirche.

Was können wir in Österreich für die Menschen in der Ukraine tun?
Zu allererst bin ich dankbar für das, was schon getan wurde. Wir erfahren gerade von der Katholischen Kirche viel Unterstützung, aber auch Solidaritätserklärungen sind wichtig für uns. Vor allem wünsche ich mir, dass wir gemeinsam auf der Seite der Wahrheit stehen und letztlich auch im Geist des Evangeliums verschiedenste Formen von Propaganda zu entlarven versuchen.

Interview: Alois Kölbl

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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