Erste Hilfe für die Seele | Teil 02
Durch tiefste Dunkelheit

Manche Menschen können nicht sehen, dass der Tunnel ein Ende hat. | Foto: Waldhäusl
  • Manche Menschen können nicht sehen, dass der Tunnel ein Ende hat.
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Sabine war bei verschiedenen Ärzten, bekam Spritzen und Infusionen, Röntgen wurden gemacht, schließlich eine Computertomografie, anhand derer festgestellt wurde, dass sie einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte.
„Auslöser für meine Depression waren die langen Schmerzen“, erzählt Sabine. „Ich habe nicht mehr schlafen können, bin im Kreis gegangen.“ Nach der Operation sind die Schmerzen geblieben, und sie war zwei Wochen in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. „Psychisch ist es mir ganz, ganz schlecht gegangen“, erinnert sie sich. Sie war in Psychotherapie und hat Antidepressiva bekommen. Als die Schmerzen angefangen hatten, war sie gerade einen Tag nach acht Jahren Kinder-Zeit wieder in der Arbeit. Aus Angst um den Arbeitsplatz ist Sabine nicht auf Reha gefahren.
Insgesamt erlebte sie eine große Gleichgültigkeit und Verzweiflung. „Die Familie, die Kinder waren mir wurscht“, sagt sie. „Du willst nicht mehr. Kannst nicht mehr. Ich habe keinen Lärm ausgehalten – das Telefon war mir zu laut.“ Dieser Zustand hat mehr als drei Monate gedauert. Sabine spricht von „tiefster Dunkelheit, keinen Gefühlen, Weinen.“ Ihr Mann ist selbst psychisch labil, er hat keine Stütze sein können.

Noch tiefer. 
Sabine hat Vollzeit in einem Pflegeberuf gearbeitet. „Gerade dort hab’ ich gesehen, was für andere Menschen es an Not gibt. Da hat sich meine Krise relativiert“, erzählt sie.
Als es ihr nach einigen Jahren besser ging, hat sie selbst die Medikamente abgesetzt – und ist „tiefer abgesackt als je zuvor“. Sie konnte das Haus nicht verlassen und nicht allein sein. „Ich habe nicht geglaubt, dass ich jemals wieder gesund werden könnte“, erinnert sie sich. Sie hatte panische Ängste – finanziell, um die Familie, die Beziehung, ob sie den Haushalt schaffen würde. „Und du fragst ständig: warum, warum ich? Und ich hab gedacht, dass mir das jeder ansieht“, sagt sie. „Und es ist auch so. Man schaut wie in ein Loch – verbittert und traurig.“

Hilfe.
Als ihr die Psychotherapie zu teuer geworden ist, hat sie eine Lebensberaterin gefunden, die ihr helfen konnte. Sabine bedauert, dass ihr Mann keine Hilfe in Anspruch nimmt. „Er sagt: Schau auf dich, ich halte das nicht mehr aus, wenn es dir so schlecht geht“, erzählt sie, und das macht ihr enormen Druck. Sabine weiß, dass auch Partner mit in die Krise kommen können, wenn sie nicht wissen, wie sie mit der Depression des anderen umgehen sollen. Inzwischen kennt Sabine zwar bessere und schlechtere Phasen, aber dieses „tiefe Loch“ hat sie nicht mehr erlebt.
„Helfen kann man sich nur selbst,“ sagt sie. Sie versucht sich zu stärken mit Gedanken wie: „Es darf sein. Diese Depression gehört zu mir. Ich darf sie nicht verdecken.“ Die Depression sagt ihr: „Ich darf auch schwach sein, ich muss nicht immer 120 Prozent geben.“

Was gut tut. 
Sabine sagt, dass ihr der Glaube hilft, auch wenn sie in den „tiefsten Tiefen“ nicht mehr beten hat können. Ein großes Kraftwerk ist ihr Garten. Durch die Depression hat sie gelernt, was ihr gut tut: Besuch, wandern, bummeln oder ins Café gehen. Und sie gönnt sich das auch. Ihre Umgebung hat gemerkt, dass sie anders geworden ist, dass sie mehr auf sich achtet. „Ich kann mich jetzt besser abgrenzen“, sagt sie. Sie nimmt etwa nicht mehr hin, dass die ganze Arbeit im Haushalt an ihr hängen bleiben soll. Denn: „Mein Körper macht nicht mit, und dann muss ich mir das richten.“
Wenn es jemanden in der Familie stört, dass es dann und wann einfachere Speisen gibt oder nicht so genau geputzt ist, dann sei das nicht ihr Problem, sondern das des anderen. Sie kennt auch andere Betroffene, die sie anrufen kann, wenn es ihr nicht gut geht. Eine Selbsthilfegruppe ist ihr eine große Stütze. Wichtig sind für Sabine Techniken zur Muskelentspannung.

Selbst gehen.
Dass sie nicht mehr so belastbar und energiegeladen ist wie früher, ist schwer für Sabine. „Aber ich darf mich nicht vergleichen mit Gesunden und was die alles schaffen. Man sieht in niemanden hinein. Jeder hat sein Schicksal zu seiner Zeit zu tragen.“
Immer wieder hört Sabine von Betroffenen, bei denen sie nie eine Depression vermutet hätte. „Wenn man sagen kann, dass es einem nicht gut geht, macht es vieles leichter – auch in der Arbeit“, weiß sie aus Erfahrung. Sie arbeitet jetzt Teilzeit und gerne. „Ich muss meine Grenzen selber aufstellen – die eigenen Grenzen erkennen und anderen Grenzen setzen, damit ich Luft und Freiraum habe.“ Aber den Weg muss man selbst bewältigen, auch wenn man Hilfe bekommen kann.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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