Interview: Kardinal Kurt Koch
Zuerst „Hirt des Volkes“ sein

Den Nationalismus bezeichnet Kardinal Koch als „die Ursünde der Neuzeit“. Das Nahverhältnis von Kirche und Staat, wie es für die Orthodoxen Kirchen konstitutiv ist, sei durch den Krieg in der Ukraine massiv in Frage gestellt worden. | Foto: Neuhold
  • Den Nationalismus bezeichnet Kardinal Koch als „die Ursünde der Neuzeit“. Das Nahverhältnis von Kirche und Staat, wie es für die Orthodoxen Kirchen konstitutiv ist, sei durch den Krieg in der Ukraine massiv in Frage gestellt worden.
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Kardinal Kurt Koch sprach im Interview auch über Positionen der Kirchen im Ukraine-Krieg.

Teil 2 des Sonntagsblatt-Interviews

Der Krieg in der Ukraine und die klare Positionierung der Russisch-Orthodoxen Kirche mit Patriarch Kyrill an der Seite Putins spaltet gerade massiv die Orthodoxie. Welche Auswirkungen hat das für den ökumenischen Dialog?
Die Auswirkungen haben schon früher begonnen, nämlich mit der Verleihung der Autokephalie an die Orthodoxe Kirche in der Ukraine durch den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios. Daraufhin hat das Russisch-Orthodoxe Patriarchat nicht nur die Beziehungen mit Konstantinopel abgebrochen, sondern auch entschieden, nicht mehr in der Internationalen Gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Orthodoxie insgesamt teilzunehmen. Aufgrund des schrecklichen und absurden Krieges in der Ukraine und der völlig unverständlichen Gutheißung dieses Krieges durch Patriarch Kyrill ist die Uneinheit innerhalb der Orthodoxie nochmals verschärft worden. Diese Situation belastet natürlich auch die ökumenischen Beziehungen.

Sehen Sie in diesem Konflikt in der Orthodoxen Kirche auch ein Motiv, das ursächlich in diesen Krieg hineinspielt, oder wird diese kirchliche Frage von politischen Mächten instrumentalisiert?
Es wäre in meinen Augen erbärmlich, wenn die innerorthodoxen Konflikte den Krieg verursacht hätten. Denn kirchliche Probleme dürfen nie mit Gewalt „gelöst“ werden. Es hat mich deshalb erschreckt, dass Patriarch Kyrill so weit geht, dass er den Krieg auch mit religiösen Motiven legitimiert. Nicht überrascht hat mich freilich seine Sicht von Russland, die hinter seinem Verhalten stehen dürfte.
Er hat immer wieder seine Meinung zum Ausdruck gebracht, dass Russland eine besondere Aufgabe bei der Verteidigung der christlichen Werte gegen den in seiner Sicht dekadenten Westen zukommt.

Sie waren beim Online-Gespräch zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill an der Seite des Papstes dabei. Wie haben Sie die Gesprächsbasis zwischen den beiden erlebt?
Es ist kein einfaches Gespräch gewesen. Papst Franziskus hat zunächst dem Patriarchen das Wort gegeben, der dann mit langen Ausführungen im Wesentlichen die Position Putins wiedergegeben hat. Darauf ist der Papst nicht eingegangen, sondern hat mit klaren Worten betont, dass sie, d. h. Papst und Patriarch, nicht „Kleriker des Staates“ sind, sondern „Hirten des Volkes“ und dass deshalb ihre Verantwortung darin besteht, alles zu tun, damit dieser Krieg so bald wie möglich beendet wird. Da Patriarch Kyrill nach dem Online-Gespräch erklären ließ, dass der Papst seine Sicht teilen würde, musste dann auch der Heilige Stuhl öffentlich mitteilen, was der Papst wirklich gesagt hatte.

Halten Sie ein physisches Treffen zwischen dem Papst und dem Patriarchen in absehbarer Zeit für möglich?
Ich bin dankbar, dass Papst Franziskus die für Juni vorgesehene Begegnung mit dem Patriarchen in Jerusalem abgesagt hat. Denn solange der Krieg herrscht, würde eine Begegnung möglicherweise das Missverständnis provozieren, dass der Papst die unhaltbare Position des Patriarchen unterstützt. Dies würde der moralischen Autorität des Papstes sehr schaden. Auf der anderen Seite dürfen wir die Beziehungen auch nicht abbrechen, weil dann überhaupt kein Dialog mehr möglich wäre. Doch während des Krieges ist eine physische Begegnung nicht sinnvoll.

Die Worte und die Position des Patriarchen Kyrill zeigen, wie eng Kirche und Staat in Russland miteinander verwoben sind. Wie beurteilen Sie diese Verschwisterung von weltlicher und geistlicher Macht?
Wir müssen bedenken, dass wir es mit verschiedenen Entwicklungen und Traditionen zu tun haben: Im Westen haben wir Christen in einer langen und verwickelten Geschichte lernen müssen und haben es gelernt, dass die Trennung von Kirche und Staat bei gleichzeitiger Partnerschaft von beiden die adäquate Verhältnisbestimmung ist. Diese Tradition ist in der Orthodoxie nicht bekannt; sie geht vielmehr von einer engen Beziehung zwischen staatlicher Herrschaft und kirchlicher Hierarchie aus, die als Symphonie von Staat und Kirche gekennzeichnet zu werden pflegt und die oft mit nationalistischen Tendenzen verbunden ist.

Der Nationalismus ist ohnehin die Ursünde der Neuzeit, von der freilich auch einzelne Katholiken nicht gefeit sind. Da die Orthodoxen Kirchen aber wesentlich nationalkirchlich strukturiert sind, ist das Verhältnis von Kirche und Staat auch ekklesiologisch festgelegt. Diese Symphonie von Kirche und Staat ist nun aber durch die Position von Patriarch Kyrill zum Krieg massiv in Frage gestellt worden. Diese Frage, die in den bisherigen ökumenischen Dialogen weitgehend ausgeblendet worden ist, muss deshalb jetzt eingehend besprochen werden.

Papst Franziskus setzt gerne starke symbolische Gesten und hat anlässlich des Kriegsausbruches in der Ukraine den russischen Botschafter beim Vatikan in Rom aufgesucht. Wie nehmen Sie Papst Franziskus als politisch Handelnden wahr?
Der Krieg, den Putin in der Ukraine begonnen hat, bereitet Papst Franziskus seit Anfang große Sorgen, weshalb er sich verpflichtet gefühlt hat, den russischen Botschafter beim Heiligen Stuhl aufzusuchen. Und wie wir wissen, hat er sich auch bei Präsident Putin gemeldet, dass er nach Moskau reisen und mit ihm reden möchte. Soviel ich weiß, hat er freilich bis heute keine Antwort erhalten. Das Handeln des Papstes zeigt auf jeden Fall, dass sein Hauptanliegen darin besteht, dass dieser schreckliche und absurde Krieg in der Ukraine so bald wie möglich beendet wird.

Vielen Dank für dieses Gespräch!
Interview: Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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