Entdecke die Kraft

Melanie Wolfers  | Foto: Ulrik Hölzel
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Melanie Wolfers ermutigt in ihrem neuen Buch: „Nimm der Ohnmacht ihre Macht“.

Ohnmacht zu erleben, ist ein scheußliches Gefühl! Als ob einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Man fühlt sich wehrlos, ausgeliefert und schwach. Oft geht dieses Empfinden damit einher, dass wir uns als unfähig oder unzulänglich, als minderwertig oder wertlos, als gelähmt oder gedemütigt erleben. Mit allen Fasern unseres Körpers wollen wir uns befreien von dem bedrohlichen Gefühl, dass uns die Hände gebunden sind und der eigene Wille außer Kraft gesetzt ist. All dies weckt verschiedenste Gefühle: Angst und Wut, Empörung und Trauer, Schuld und Verzweiflung, Lähmung und Depressivität. (…)

Es gibt einige typische Fluchtrouten, um dem Ohnmachtsgefühl auszuweichen. Vermutlich sind auch Ihnen einige davon vertraut …

Eine häufige Vermeidungsstrategie liegt darin, das eigene Unbehagen zu betäuben oder sich abzulenken. Manche stopfen sich mit Essen voll oder gehen einkaufen, flüchten in die Weiten des Internets oder stecken sich Kopfhörer mit Noise-Cancelling ins Ohr. Andere sind ständig »busy-busy« nach dem Motto: »Egal was: Hauptsache, ich bin beschäftigt und komme nicht zur Besinnung!« Als ob einen die Wahrheit des eigenen Lebens nicht einholen könnte, solange man für sie keine Zeit hat …

Weil man das Ohnmachtsgefühl so schwer zulassen kann, versteckt es sich gerne unter verschiedenen Masken: Da poltert jemand wütend los; ein anderer nimmt eine Pose der Überlegenheit und Coolness an, um vor sich und anderen die eigene Hilflosigkeit zu überspielen. Und eine Dritte fühlt eine diffuse Traurigkeit in sich, ohne genau zu wissen warum. Der Vorteil von solchen Maskeraden liegt auf der Hand: Wir spüren nicht mehr unsere Ohnmacht, sondern ein etwas erträglicheres Gefühl, mit dem wir diese übertünchen.

Doch der innerseelische Gewinn ist teuer erkauft, denn zugleich hindern sie einen daran, das Unausweichliche anzunehmen – und dadurch beeinträchtigen sie dessen Verarbeitung. Die Masken wirken wie ein Schmerzpflaster, das die aufbrechenden Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Trauer betäubt – aber zugleich lassen sie diese chronisch werden. Denn verletzte Gefühle, die aus dem Bewusstsein verdrängt werden, können nicht heilen, sondern nisten sich dauerhaft ein.

Sind wir mit Widrigkeiten konfrontiert, die wir nicht erklären oder beherrschen können, verbirgt sich das Ohnmachtsgefühl gerne unter der Maske von Schuldzuweisungen. So ist es beispielsweise in Coronazeiten einfacher, Fehler aufzuspüren und einen Schuldigen an den Pranger zu stellen, als anzuerkennen, dass wir gegenüber einem kleinen Virus derart ohnmächtig sein können. Für alles eine Erklärung parat zu haben vermittelt dem Menschen hingegen Sicherheit. In unserer Welt bleibt aber vieles rätselhaft und offen. Verschwörungstheorien können da wie Balsam auf die Seele wirken, denn sie schaffen es, ihren Anhängern die Illusion von überlegenem Wissen zu vermitteln und dadurch die Ohnmacht zu verbannen.

Die Maske, unter der sich das Ohnmachtsgefühl vielleicht am häufigsten versteckt, ist die Wut. Viele empfinden lieber Wut, als dass sie sich ihre Ohnmacht eingestehen. Ein Beispiel sind Beziehungskrisen: Oft fällt es Menschen leichter, auf die geliebte Person wütend zu sein, als den ohnmächtigen Schmerz zu ertragen über die Kälte und Distanz, die zwischen ihnen entstanden ist (…)

Daher können Menschen sich und ihrem Umfeld ausgerechnet dann sehr gefährlich werden, wenn sie sich ohnmächtig fühlen! Dies beginnt beim wütenden Fußtritt nach dem Hund und reicht über Schikanen im Betrieb oder Sportverein bis hin zum Einsatz zerstörerischer Waffen ohne Rücksicht auf Verluste! Für das meist unbewusste Ummünzen von Ohnmacht in zerstörerische Aggression zahlen wir Menschen einen hohen Preis!
Doch Ohnmacht und Kontrollverlust können auch zu einem beinahe widersprüchlich anmutenden Phänomen führen: Dann reagieren Betroffene nicht aktiv-aggressiv, sondern fallen in eine depressive Passivität. Sie fliehen vor der Ohnmacht – und vor ihrer Kraft! –, indem sie resignieren und (sich) entmutigt aufgeben. Dies kann verschiedene Formen annehmen: Da legt sich eine namenlose Traurigkeit wie eine schwere Decke auf einen. Jemand zieht sich niedergeschlagen zurück und ergibt sich in die gefühlte Aussichtslosigkeit. Eine andere Person emigriert innerlich und wird teilnahmslos gegenüber gesellschaftlichen Prozessen. Vor allem aber verhindert eine solch depressive Niedergeschlagenheit, dass wir aktiv werden. Anstatt Gelegenheiten beim Schopf zu ergreifen, lassen wir sie passiv an uns vorüberziehen.

Ohnmachtserfahrungen gehören unausweichlich zu unserem Leben! Doch die gute Nachricht ist: Wir sind diesem Erleben nicht hilflos ausgeliefert, sondern können auf sieben Urkräfte bauen, die uns in der Not tragen und positive Energie freisetzen.

Melanie Wolfers

Melanie Wolfers ist Philosophin, Theologin und Mutmacherin. Sie gehört zur Ordensgemeinschaft der Salvatorianerinnen, ist Autorin und Beraterin und betreibt den Podcast GANZ SCHÖN MUTIG. melaniewolfers.de
Der Text oben stammt aus ihrem soeben erschienenen Buch: „Nimm der Ohnmacht ihre Macht. Entdecke die Kraft, die in dir wohnt“, bene! Verlag / Droemer Knaur: 208 Seiten, 19,90 Euro; ISBN: 978-3-96340-252-4; E-Book: EUR 16,99.

Melanie Wolfers  | Foto: Ulrik Hölzel
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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