Interview
Die Krankheit der Angehörigen

Die Nähe und auch das Lachen ist ihnen geblieben. Manfred Hebar (l.) pflegt seine an Demenz erkrankte Frau Siegrid (r.).
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Demenz. Angehörige stehen durch die sich anbahnende Krankheit oft vor großen Herausforderungen – von Tag zu Tag werden sie mehr Pflegende und Unterstützende. Manfred Hebar, der seine an Demenz erkrankte Frau lange zu Hause pflegte, erzählt von seinen Erfahrungen.

Herr Hebar, gehen wir zum Anfang, bevor Ihre Frau die Diagnose Demenz bekam: Wie war es für Sie, Veränderungen an Ihrer Frau zu bemerken?
Eigentlich habe ich es gar nicht bemerkt. Am Anfang, vor sieben Jahren, ist mir natürlich die Vergesslichkeit im Alltag aufgefallen, aber das habe ich hingenommen als Folge des Älterwerdens. Anzeichen merkt man als Angehöriger selbst womöglich nicht so schnell, oder vielleicht will man es gar nicht bemerken. Erst mein Sohn hat mich darauf aufmerksam gemacht. Dann habe ich
bewusster hingeschaut.

Was waren die ersten sichtbaren oder spürbaren Herausforderungen?
Zuerst habe ich nur die allgemeine Vergesslichkeit gesehen. Und Kleinigkeiten, die ihr nicht mehr so gut von der Hand gingen.
Erst durch die Rückmeldungen meines Sohnes konnte ich mehr sehen. Leider ist die Demenz bei meiner Frau relativ rasch vorangeschritten. Nach einem Jahr konnte sie kaum mehr etwas. Da kam dann ein schneller Verlust vieler Fähigkeiten und Fertigkeiten dazu. Ich habe noch die Badewanne umgebaut und mit einer Duschtür versehen, doch bald konnte sie diese auch nicht mehr selbst-
ständig nützen. Vieles war dann nur noch
zu zweit zu bewältigen.

Sie haben sich professionelle Hilfe gesucht. Was haben Sie gefunden?
Über Medien und Internet habe ich mir dann Anlaufstellen herausgesucht. Erreichbar und hilfreich war für mich zu dieser Zeit die Gedächtnisambulanz in Graz. Sie haben uns unter anderem Übungen gezeigt. Man ist ja irgendwie auf der Suche nach Kontrolle, nach Überprüfung, ob das, was man ahnt, auch so stimmen mag. Diese Bestätigung habe ich auch dort gefunden. Da meine Frau dann laufend immer mehr Aufmerksamkeit benötigte und ich sie auch nicht mehr alleinlassen konnte, holte ich mir eine 24-Stunden-Pflegekraft als Hilfe und Unterstützung ins Haus.

„Lustig war es nicht. Aber wenn man es aus Liebe zur eigenen Frau macht, dann geht es. Ich weiß nicht, ob ich es für jemanden anderen so lange geschafft hätte.“

Wie war der Weg für Sie als Ehemann, und können Sie auch beschreiben, wie es für Ihre Frau war?
Bei der Gedächtnisambulanz bekam ich auch Unterstützung als Angehöriger. Man kommt an seine Grenzen. Dank der zuständigen Ärztin habe ich selber gelernt, wie man mit überfordernden Situationen umgeht. Wenn die eigene Frau einfach alles vergisst, trotz Hilfe die einfachsten Dinge nicht mehr gehen oder das, was man sagt, nicht ankommt. Dann packt man das irgendwann nicht mehr. Es geht an die Nerven. Der Weg war geprägt von Suchen und Ringen. Ein Mit-sich-Verhandeln. Von „Ich schaffe, das!“ und „Koste es, was es wolle!“, bis „Du musst dir jetzt endlich Hilfe holen!“ Meine Frau war, glaube ich, diesbezüglich weniger betroffen. Die Krankheit ist so schnell fortgeschritten, dass sie gar nicht gemerkt hat, an Demenz erkrankt zu sein.

Als Sie Ihre Frau zu Hause nach und nach immer mehr unterstützen mussten, wie hat das Ihr Leben verändert?
Ich habe vieles gelernt oder auch neu lernen müssen: sie zu duschen, Windeln zu wechseln, ständig aufpassen zu müssen, Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln und vieles mehr.
Manches lernt man gezwungenermaßen, manches macht man dann auf einmal gern, wie zum Beispiel das Kochen – das macht mir inzwischen richtig Freude. Aber auch die Erfahrung, dass eine 24-Stunden-Pflegekraft im Haus für mich nicht passte, musste ich lernen. In dieser Zeit habe ich gemerkt, was meine Frau alles gemacht hat. So ganz nebenbei. Das kann ich jetzt anders würdigen.

Wann kamen Sie zu der Entscheidung, dass Sie mehr Unterstützung brauchen bzw. einen Pflegeplatz für Ihre Frau?
Es kam der Punkt, an dem ich selber gemerkt habe, dass ich es nicht mehr schaffe und an meine Grenzen gekommen bin. Vor allem, als ich es mit der Hygiene nicht mehr allein geschafft habe. Da kam – schweren Herzens – der Wendepunkt. Aber diese Entscheidung, ja diese Suchbewegung hat sicher ein halbes Jahr gedauert. Als der Pflegeplatz dann plötzlich da war, ist es mir fast zu schnell gegangen.

Wie war das Ankommen im Pflegeheim. Hatten Sie Sorgen oder Ängste?
Es war getragen von der Hoffnung, dass sie im Pflegeheim gut betreut und gepflegt wird, aber auch von der Sorge, ob das Pflegepersonal wohl genau so liebevoll auf meine Frau schauen kann, wie ich es tue. Meine Frau in andere Hände zu geben war sehr schwer auszuhalten. Aus Sorge um sie musste ich lernen, auch Konfliktsituationen nicht aus dem Weg zu gehen und Dinge, die mir wichtig sind, offen anzusprechen. Das hilft.

Können Sie da ein Beispiel nennen?
Also meine Frau kann zum Beispiel ihre Schmerzen nicht mehr artikulieren. Eine meiner großen Sorgen ist daher die Zahn- und Mundhygiene, damit Karies und Zahnschmerz verhindert werden. Also habe ich für die Pflege auf den Spiegel ein Herzerl geklebt mit der Bitte, das Zähneputzen nicht zu vergessen. Ein Besuch beim Zahnarzt wird zu einem abenteuerlichen Tagesausflug, da wir nicht vor Ort eine Praxis aufsuchen können, sondern, weil immer eine Anästhesie nötig ist, zur Zahnambulanz müssen. Da heißt es
frühmorgens mit der Rettung nach Graz fahren, viele Wartezeiten, dazwischen die Herausforderung des Windelwechselns und erst abends wieder mit der Rettung zurück.

Hat sich nun schon ein neuer Alltag einstellt, und wie hat er sich verändert?
Die Pflegearbeit zu Hause ist zwar weggefallen, aber am Anfang war es schon schwer, heimzukommen in ein leeres Haus. Irgendwann gewöhnt man sich, dass man allein zu Hause ist. Andererseits bin ich jetzt natürlich unabhängiger. Wenn ich jemanden zum Reden brauche, gehe ich zu Freunden. Eine Angehörige hat mir einmal gesagt: „Demenz ist eine Krankheit der Angehörigen. Mein Mann weiß gar nicht, dass er krank ist.“

Hat die Krankheit Ihrer Frau auch Sie verändert? Wenn ja, welche Veränderung möchten Sie an sich nicht missen?
Ich bin offener geworden gegenüber anderen Menschen. Helfe dort, wo ich sehe, dass ich gebraucht werde. Ich habe wieder mit Gitarrespielen angefangen, gehe auf den Tennisplatz, singe gerne mit anderen, koche für mich oder lade Freunde zum Essen ein. Ich habe mir auch viel vorgenommen, zum Beispiel
Steirische Harmonika zu lernen!

Was wünschen Sie sich für zukünftig betroffene Angehörige?
Für jeden, für jede persönlich die Fähigkeit, die Pflege gerne zu machen und nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe. Und wenn man die Pflege selber nicht leisten kann, das Glück und die Möglichkeit, ein Pflegeheim nützen zu wollen und zu können.
Grundsätzlich wünsche ich mir mehr Pflegepersonal, damit neben der Pflege mehr Zeit für Zwischenmenschliches bleibt.
Und die Erkenntnis: Es hilft nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Es nützt nichts, man muss einfach durch. Es ist so. Es gilt halt, das Beste daraus zu machen.

Was konnten Sie sich bis heute, trotz allem, mit Ihrer Frau erhalten?
Die Nähe, das Berühren, das Gefühl, dass sie sich auf mich freut, auch wenn ich nicht genau weiß, ob sie mich erkennt. Das Lachen. Die Gewissheit, dass sie das alles auch für mich getan hätte.

Interview: Monika BrotTrager-Jury

Zum Langen Tag der Demenz
Veranstaltungen
Information und Möglichkeit zu Austausch und Beratung gibt es rund um den 21. September an mehreren steirischen Orten.

Die Steirische Alzheimerhilfe
(Tel. 0676 / 45 20 400) bietet

  • Beratung: telefonisch.
    In Graz, Feldbach, Leibnitz persönlich.
  • Selbsthilfegruppen in Graz, Gratwein, Leibnitz, Leoben, Liezen, Voitsberg, Weiz und online.
  • Vorträge über Erfahrungen und notwendiges Wissen.

www.steirische-alzheimerhilfe.at

katholische-kirche-steiermark/alterundpflege
Auf dieser Webseite finden Sie Angebote von Pflegeheimseelsorge und Caritas

  • für pflegende Angehörige,
  • zu Demenz,
  • zu Pflegehilfe und Pflegeheimen,
  • zur Pflegeheimseelsorge.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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