5. Sonntag im Jahreskreis | 4. Februar 2024
Meditation

Sakrament der Tische

In der elterlichen Wohnung gab es zwei Tische, um die sich die Familie versammelte: den Alltagstisch und den Sonntagstisch.

Das Alltagsleben vollzog sich meist in der Küche. … Dort wurden die Noten der Klassenarbeiten mitgeteilt, auch deshalb, weil Mutter meist mit ihrer Küchenarbeit am Tisch oder Herd beschäftigt war und nur die halbe Aufmerksamkeit den manchmal schwierigen Noten galt. Das Heft wurde ihr dann kurz „unter die Nase“ gehalten und verschwand schnell wieder in der Schultasche. Erst beim anschließenden Mittagstisch konnten die Schul-ereignisse ausführlicher zwischen Suppe und Hauptmahlzeit besprochen werden. Aber da war schon einmal „der erste Dampf“ raus und alles nicht mehr so dramatisch.

Lieb war mir der Alltagstisch in späteren Jahren, weil meine Mutter dort die Brote schmierte und verpackte, die sie mir mit auf eine längere Bahnfahrt oder Wanderung gab. Diese am heimischen Küchentisch gemachte Wegzehr führte zu einer innigen Verbindung zwischen mütterlicher Heimat und mir. Sie hatte sakramentalen Charakter.

Sonntags wechselten wir ins Wohnzimmer an den Ausziehtisch, an dem wir alle viel Platz hatten. Geräumiger waren dann auch die Gespräche, zeitlich nicht mehr, wie oft alltags, begrenzt … Der Sonntagstisch war feierlicher geschmückt – mit Blumen. Die Familienfeste wurden an ihm gefeiert. Die Eltern waren meist an diesem Tisch auch „besser drauf“. Die Stimmung war friedlicher als am Alltagstisch, eben sonntäglich. Und er lag auf der Rückseite des Hauses. Auf der Gartenseite. Auf der Rosenseite, denn mein Vater war ein großer Rosenfreund.

Mir ist dieser Tisch aber besonders deshalb in Erinnerung geblieben, weil mir meine Mutter im Gegenzug zum Abschiedsbrot dort das Willkommens-essen servierte: Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Vater rückte mit einer Flasche Moselwein an – bis heute für mich eine Festmahlzeit, die mich mit dem Sonntagstisch in der Familie verbindet.

So hatten beide Tische, der in der Küche und der im Wohnzimmer, ihre „sakramentale“ Würde – für den, der ging, und für den, der nach langer Zeit wieder nach Hause kam.

Wilhelm Bruners in: Zuhause in zwei Zelten, Tyrolia 2017.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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