2. Sonntag der Osterzeit | 16. April 2023
Meditation

Foto: pixabay/Myriams Fotos

Bringen wir Gott?

Die Christen, die mich heute Nachmittag besuchten, waren von bewundernswerter Aufrichtigkeit. Nachdem sie mir von ihrem Bemühen erzählt hatten, „ihren Glauben und ihre Verbindung mit dem Herrn zu vertiefen“, sagten sie mir, dass man ja nur das geben könne, was man besitzt, und dass es nötig sei, gewissermaßen innerlich „aufzutanken“, ehe man sich „den anderen“ zuwendet.

Ich bewunderte ihren Ernst und ihre Überzeugung, war aber gleichzeitig ein wenig unsicher und sogar gehemmt. Sie machten mir – trotz ihrer zur Schau getragenen Demut – den Eindruck von reichen und eingebildeten Menschen, die sich berufen und befähigt fühlten, „den anderen Gott zu bringen“.

Plötzlich verstand ich, warum ich mich ihnen gegenüber so gehemmt gefühlt hatte. Was ich mir selbst und den anderen hundertmal gesagt habe, erhellte sich plötzlich angesichts dieser Christen so guten Willens.
Sie waren ehrlich davon überzeugt, dass man „Gott besitzen könne, um ihn jenen zu geben, die ihn noch nicht besitzen“, und dass man ihn umso reichlicher austeilen könne, je mehr man ihn besitzt. Ein erschreckender Gedanke! Hier liegt die Wurzel jenes subtilen Hochmuts, des tiefsten und schwersten, den es gibt: zu glauben, Gott in reichem Maße zu besitzen, im Gegensatz zu jenen, die ihn nicht besitzen.

Niemand kann Gott „besitzen“. Wir können uns nur seiner Liebe öffnen. Uns lieben lassen. Niemand kann anderen Gott geben. Er allein gibt sich jenen, die er liebt, das heißt allen. Wir brauchen nicht „zu den anderen zu gehen“, wir sind mitten unter ihnen. Hingegen müssen wir ständig unsere Bereitschaft für die andern überprüfen, wir müssen für die Liebe Christi durchlässig werden und vor allem ihm voranlaufen, der uns in jedem unserer Brüder erwartet.

Der französische Priester und Autor Michel Quoist (1921–1997) in: „… mit offenem Herzen“ (dt. von Mirjam Prager, Styria 1982). Im Vorwort schreibt er:

„Ich biete Ihnen meine eigenen Gedanken an, die ich Ihnen selbstverständlich nicht aufdrängen will … Ich wäre untröstlich, wenn Sie glaubten, dass ich Sie ‚zu meinen Ansichten bekehren will‘; aber ich wäre glücklich, wenn ich Ihnen eine Gelegenheit böte, über Ihr eigenes Leben nachzudenken, um darin die Spuren Christi zu finden und Ihr persönliches Gebet als Antwort entstehen zu lassen.“

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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