2. Adventsonntag | 4. Dezember 2022
Meditation

Beginnen und üben

Es ist wie bei einem Menschen, der es zu etwas gebracht hat.
Ein staunendes Publikum lauscht seiner Kunst. Selbst Leute, die seit langem kein Lied mehr über ihre Lippen gebracht haben, bewundern seine Fingerfertigkeit, sein Gefühl, die Innerlichkeit des Ausdrucks.
Das Fertige, das Vollendete, das Große zieht Menschen an, nimmt ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Das fertige Bauwerk hat vom Schweiß der Menschen nichts mehr an sich. Die vollendete Musik hat nichts mehr von der Schwere des ersten Obens an sich.
Dass aus diesem einstigen Anfänger ein großer Musiker werden konnte, dafür waren die ersten Zuhörer maßgeblich, die die Last der „schrägen“ Töne, die sich in den Ohren krümmten, ausgehalten haben. Ihr Zuspruch, ihr Lob für das Unvollkommene und noch Fehlerhafte war ein wichtiges Moment auf dem Weg zum immer Vollendeteren.

Es gibt eine Lust am Fertigen, die das Anfanghafte nicht mehr hochkommen lässt. Gegen diese tötende Lust am Fertigen steht die Liebe zu den Anfängen. Sie erwartet nicht Vollkommenheit, sondern nimmt die kleinen Schritte wahr. Ein kleiner Fortschritt, das Ausmerzen eines einzigen Fehlers wird nicht übersehen, sondern wahrgenommen und gelobt. Man freut sich darüber. Es zählt nicht nur das Ziel, vielmehr gilt die Aufmerksamkeit dem Weg dorthin. Gegen die Ungeduld, die nur das Fertige sehen will, steht die Lust am gelungenen nächsten Schritt.

Wenn Gott sich den Menschen zeigt, geschieht es nicht spektakulär und allen sichtbar. Es gibt eine Kunst des Religiösen. Das ist die Fähigkeit, das Wichtige, das unendlich Bedeutsame im Kleinsten zu erahnen und zu erspüren.

Wie der Musiker seine Fertigkeiten übt, so gilt es auch für den, der Christus erfahren will, den Blick zu üben und zu schärfen. Es geht um etwas, das nicht jeder sieht, vor allem nicht der, für den alles augenfällig und mühelos sein muss, damit er es der Beachtung wert findet.

Wer Christus erwartet, muss wissen, dass dieser nicht wie ein Herr nach menschlichen Vorstellungen von Herrschaften kommt. Die Christusbotschaft wendet die Aufmerksamkeit der Menschen geradezu um. Nicht die vollkommenen Stars, die Führer und Anführer, die Herren der Welt sollen eure Aufmerksamkeit besetzen, indem ihr ihre Gunst und Nähe sucht. Vielmehr sollt ihr euren Blick freihalten für die Geringsten. Was ihr denen getan habt, habt ihr mir getan, sagt Christus (Mt 25,40).

Matthäus Fellinger

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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