10. Sonntag im Jahreskreis | 6. Juni 2021
Meditation

Das Herz Gottes

Bevor Jesus den Petrus zum Hirten bestellte, fragte er ihn: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?“ Er fragte ihn noch einmal und ein drittes Mal. Wir müssen diese Frage deutlich hören, denn es ist die zentrale Frage bezüglich jedes christlichen Dienstes. Falls wir sie wie Petrus beantworten könnten, würde uns das in die Lage versetzen, auch dann noch unser volles Selbstwertgefühl zu behalten, wenn uns kein Mensch ernst nähme.
Schauen wir auf Jesus. Die Welt hörte nicht auf ihn. Er wurde gekreuzigt und beseitigt. Von einer Welt, die auf Macht, Leistung und Absicherung aus ist, wurde seine Botschaft der Liebe in den Wind geschlagen. Aber plötzlich war er wieder da und erschien, mit Wunden an seinem verklärten Leib, einigen wenigen Freunden, die Augen hatten, um zu sehen, Ohren, um zu hören, und ein Herz, um zu verstehen. Dieser abgelehnte, nicht erkannte, verwundete Jesus fragte einfach: „Liebst du mich? Liebst du mich wirklich?“ Er, dessen einzige Sorge es gewesen war, die bedingungslose Liebe Gottes zu verkünden, hatte nur die einzige Frage zu stellen: „Liebst du mich?“
Die Frage lautet nicht: Wie viele Leute nehmen dich ernst? Wie viel wirst du zustande bringen? Kannst du einige Erfolge vorweisen? Die Frage lautet: Liebst du Jesus? Man könnte sie vielleicht auch so formulieren: Kennst du den Mensch gewordenen Gott?

In unserer Welt voller Einsamkeit und Verzweiflung besteht ein gewaltiges Bedürfnis nach Frauen und Männern, die mit dem Herzen Gottes vertraut sind, einem Herzen, das verzeiht, sich sorgt, sich ausstreckt und heilen will. Dieses Herz ist frei von allem Misstrauen, allem Vergeltungsdrang, allem Groll und allem Hass. Es ist ein Herz, das nur Liebe schenken und als Antwort Liebe empfangen will. Es ist ein Herz, das unermesslich leidet, weil es das ungeheure Ausmaß des Leidens der Menschen und ihren großen Widerstand kennt, dem Herzen Gottes zu vertrauen, das ihnen Trost und Hoffnung schenken will.

Gottes Herz zu kennen bedeutet, konsequent, radikal und ganz konkret zu verkünden und zu offenbaren, dass Gott Liebe und nur Liebe ist: Und dass, sooft Angst, Isolation oder Verzweiflung in das Herz eines Menschen einzudringen beginnen, Gott nicht deren Urheber ist. Das klingt sehr einfach und vielleicht sogar banal. Aber nur sehr wenige Menschen wissen, dass sie geliebt werden, ohne Bedingungen, ohne Grenzen.

aus: Henri Nouwen, Jesus, HERDER

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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