24. Sonntag im Jahreskreis | 11. September 2022
Kommentar

Kein Mensch darf abgeschrieben werden

Dass die Menschen in Scharen herbeiströmen, ist bei kirchlichen Veranstaltungen nicht unbedingt die Regel. Bei Jesus war das anders, es kommen sehr viele, die seine Worte hören und ihm begegnen wollen. Sie spüren offenbar bei ihm, dass sie respektiert und angenommen sind, wie sie sind, auch mit ihren Abgründen und Fehltritten, mit manchen Umwegen und Verirrungen, mit ihrer ehrlichen und oft verzweifelten Suche nach einem guten Weg durchs Leben. Bei Jesus werden sie nicht schief angeschaut, er lässt sie nicht spüren, dass sie unerwünscht sind und nicht dazu passen. Bei dieser unkonventionellen Menschenschar muss eine ganz besondere Atmosphäre geherrscht haben.

Die Vertreter der religiösen Obrigkeit beobachten dies mit Argwohn – und wohl auch mit einer Portion Neid. Immerhin tummeln sich bei Jesus gerade solche Menschen, die nicht ihrem Verhaltenskodex, ihren sittlichen Standards und Konventionen entsprechen, die bei ihnen keinen Platz haben, in denen sie eine Gefahr für die Moral der „Anständigen“ sehen. Sie haben nicht das eine verlorene Schaf im Blick, sondern die Sorge um die 99 verbliebenen.

Haben unsere relativ leeren Kirchen nicht auch damit zu tun, dass wir uns zu sehr die Verhaltensmuster letzterer angeeignet haben und zu wenig dem Beispiel Jesu folgen? Dabei steht Jesus durchaus in der Tradition seiner Religion, immerhin haben sich schon Abraham und Mose – sogar gegenüber Gott – für die Sünder und Abtrünnigen eingesetzt. Sie haben den Standard gesetzt, dass kein Mensch abgeschrieben werden darf.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ