Expedition Fastenzeit | Teil 04
Das Helfen hat uns geholfen

 

Flaches Land, der Blick reicht weit: St. Valentin, im Westen Niederösterreichs zwischen Enns und Donau gelegen, könnte keinen größeren Kontrast zu Galtür hoch in den Tiroler Bergen bieten. Iris Lorenz kennt beides. Die Niederösterreicherin lebt seit Mitte der 90er-Jahre in Galtür, hat hier nicht nur den Mann fürs Leben, sondern auch ein neues Zuhause gefunden. Der Weg ins hintere Paznauntal, nach Wirl, war für die gelernte Kindergärtnerin nicht vorgegeben. Es war der Zufall, der Regie führte.

Zurückgekehrt aus Griechenland, wo sich Iris Lorenz in einer Ferienanlage um die kleinen Gäste gekümmert hatte, war sie auf der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle für den Winter. Galtür wurde es, auch „weil die Stimme des Chefs beim ersten Telefonat so sympathisch geklungen hat“, schmunzelt Iris Lorenz. Ihre Eltern hatten sie damals nach Tirol begleitet. Die Mutter hatte ihr – angesichts der hohen Berge – nur 14 Tage gegeben: „Dann bist du wieder zu Hause.“

Geblieben ist Iris Lorenz bis heute. Trotz der schneebedingten Straßensperre, die sie bereits nach zwei Wochen im Ort erlebte. „Aber mit 20 macht man sich da nicht so viel daraus“, erzählt sie. Sie blieb die ganze Saison, lernte ihren künftigen Mann Josef kennen und übersiedelte – nach berufsbedingten Aufenthalten in Kärnten und Kitzbühel – 1997 endgültig nach Galtür.

Hier hat sie sich als „Zuagroaste“ von Anfang an heimisch gefühlt. „Wenn die Leute einen ins Herz geschlossen haben, dann lassen sie einen auch nicht mehr los“, freut sich Lorenz. Fort wollte sie auch nicht, als sie die volle Härte der Natur im Februar 1999 miterlebte. Milde Winter in der ersten Zeit in Galtür hatten die Lawinengefahr nie wirklich beängstigend wirken lassen. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, welche Naturgewalt Lawinen bedeuten können“, schildert sie. Als dann die Katastrophe über Galtür hereinbrach, war Iris Lorenz vor dem Sportgeschäft im Ort, wo sie damals gearbeitet hat. Sie und ihre Chefin hatten unfassbares Glück: Abgesehen von geringen Sachschäden waren sie kaum betroffen.

Die Zeit danach ist für Lorenz schwer zu beschreiben. Das Helfen beim Aufräumen habe ihr geholfen, mit dem Unfassbaren umzugehen. Auch ihr Mann war – als Mitglied der Lawinenkommission – ständig im Einsatz. Dieses Gefühl, dass man wenigstens etwas tun konnte, machte das Verkraften des Geschehenen einfacher. „Wenn man aber sieht, welches Unglück über manche Familien hereingebrochen ist, könnte man schon mit Gott hadern“, beschreibt Iris Lorenz ihre Gedanken. Sie hat aber auch gesehen und bewundert, wie sehr der Glaube vielen über die schweren Stunden hinweghelfen konnte.

Ihr Verhältnis zur Natur und den Bergen hat sich in dieser Zeit kaum geändert. „So ein richtiger Bergfex war und bin ich nicht“, erzählt Lorenz. Als Kind war vor allem Wandern mit der Familie angesagt, die Urlaube wurden auf der Tauplitz verbracht. Dort hatte sie sich einmal als Kind verirrt und entsprechende Panik gehabt. In der ersten Zeit nach dem Lawinenereignis waren die Berge und der Schnee in Galtür jedoch nicht unbedingt ihre „Freunde“. „Aber man muss es akzeptieren, es gehört dazu, und beide bilden die Lebensgrundlage vieler“, weiß Lorenz, deren Familie das Hotel Dreiländer betreibt. Außerdem sei inzwischen viel in die Sicherheit investiert worden. Das Land Tirol, der Bund und die Gemeinden haben alles möglich gemacht, so dass Galtür heute zu einem der sichersten Dörfer in den Alpen zählt. Zahlreiche Lawinenverbauungen, Schutzdämme und modernste technische Anlagen wurden errichtet. Das lasse einen auch ruhiger werden.

Manchmal ist Iris Lorenz mit ihrem Mann, der als Bergführer arbeitet, unterwegs. Was sie genießt, ist das Gehen in der Natur, das Wandern. Das können dann auch längere Strecken sein. Dabei findet sie Ruhe und Erholung vom Stress des Alltags. Als Bedrohung sieht sie die Berge nicht. Sorgen macht sie sich kaum – höchstens, wenn ihr Mann auf einer Route unterwegs ist, die er nicht so oft geht. Dass man vorsichtiger ist, glaubt sie schon. In den Bergen zu leben, bedeutet für sie aber auch, die Gefahren zu akzeptieren, die von ihnen ausgehen. Dass das Unglück von Galtür nur ein Jahrtausendereignis war, hofft sie – und dass der Schnee in Maßen kommt und nicht mehr in Massen.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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