APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
6. War Jesus das Kind einer Jungfrau?

Fünfundzwanzig Schriften des Neuen Testaments zeigen kein Interesse an Lebensanfang und Kindheit Jesu und schweigen darüber. Nur zwei, das Matthäus- und das Lukasevangelium (beide um 80 n. Chr. entstanden), überliefern auch Erzählungen über die ersten Jahre Jesu. Sie weichen darin stark voneinander ab (vgl. Mt 1–2 und Lk 1–2). Aber beide sind sich darin einig, Maria habe, ohne dass sie mit ihrem Verlobten Josef intim geworden sei, ein Kind empfangen durch das Wirken des Heiligen Geistes: Jesus.

Nicht wenige Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftler sehen in diesen Kindheitsgeschichten legendenhafte Erzählungen, wie sie in ähnlicher Weise auch über andere berühmte Persönlichkeiten der Antike erzählt werden. Das gelte auch für die beliebte Vorstellung einer wunderbaren Zeugung auf göttliche Initiative hin. Es handle sich dabei, so erklären sie, um einen mythischen Ausdruck für die außergewöhnliche Bedeutung einer Persönlichkeit und für das Göttliche, das durch ihr Leben in die Welt gekommen sei. Man müsse diese Erzählungen also nicht als Tatsachenberichte über biologische Vorgänge verstehen, sondern als kostbare symbolträchtige Poesie des Glaubens.

Andererseits verstehen Millionen Christinnen und Christen in aller Welt die Bibel auch heute so, dass Jesus keinen biologischen Vater hatte und Jesu Mutter auch im biologischen Sinn Jungfrau war. Josef wird deshalb in der christlichen Tradition „Nährvater“ und „Ziehvater“, aber nicht Erzeuger Jesu genannt. Das ist auch die offizielle Lehre der orthodoxen Kirchen, der katholischen Kirche und vieler protestantischer Gemeinschaften und Freikirchen. Sie nehmen den Satz im christlichen Glaubensbekenntnis „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ wörtlich. Freilich gibt es auch in allen Kirchen Gläubige, die das Erzählte symbolisch deuten.

Gemeinsam ist allen Christinnen und Christen, dass sie Jesus nicht nur für einen bedeutenden Menschen halten, sondern ihn, wie es die ökumenische Basisformel des Weltkirchenrates ausdrückt, „gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen“.

Übrigens erzählt auch der Koran, dass Jesus, der Sohn der Maria, ohne irdischen Vater ins Leben gerufen worden sei (vgl. Sure 3,42–51 und Sure 19,16–34). Islamischer Glaube, der Jesus nicht als Sohn Gottes, aber als großen Propheten ehrt, sieht darin ein Zeichen für die wunderbare Schöpferkraft Gottes.
Ist Jesus das Kind einer Jungfrau? – Mit historischen Mitteln lässt sich die Frage nicht beantworten. Aber unabhängig davon, ob Jesus biologisch gesehen ein Sonderfall war oder nicht, sein ganzes Leben ist und bleibt für unzählige Menschen ein „Wunder“. Und wer sich von seiner Botschaft inspirieren lässt, kann auch heute noch spüren, „wes Geistes Kind“ dieser Jesus ist.

Karl Veitschegger

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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