APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
4. Legende oder Geschichte? Ist das Neue Testament verlässlich?

Kurz vorweg: Als „Neues Testament“ bezeichnet man jenen Teil der christlichen Bibel, der von Jesus und den ersten Christengemeinden handelt und zwischen 50 und 120 n. Chr. in Griechisch geschrieben worden ist. Er schließt an jenen dickeren Teil an, dessen Schriften schon vor Jesus im Volk Israel verfasst worden sind, großteils in Hebräisch, und „Altes Testament“ oder „Erstes Testament“ genannt werden. Es gab zur Zeit Jesu auch schon eine beliebte griechische Übersetzung (Septuaginta) des Alten Testamentes. („Testament“ bedeutet hier so viel wie Urkunde über die Beziehungsgeschichte Gottes mit den Menschen.)

Das Neue Testament umfasst 27 Schriften: vier Evangelien, die Apostelgeschichte, Briefe und die Offenbarung des Johannes. Schildern diese Schriften nun historische Ereignisse oder Legenden? Man muss sagen: sowohl als auch. Sie überliefern einerseits handfeste Fakten über Jesus: Existenz, Herkunft aus Nazaret, provokantes Auftreten als Lehrer und Heiler, Kreuzigung unter Pontius Pilatus usw. Aber sie enthalten auch Deutungen der Jesus-Ereignisse, die wir Legenden nennen dürfen. Das entspricht im Großen und Ganzen der Erzählkunst antiker Historiker und Schriftsteller. Die Evangelien sind ja keine Protokolle, sondern wollen pointiert aufzeigen, worum es diesem Jesus ging, was sein Anliegen war, welche Bedeutung er für jene Menschen hat, die sich von ihm inspirieren lassen usw. Ihre Verfasser verwenden dazu Erzählformen und Stilmittel, wie sie ihnen aus dem Alten Testament und anderen antiken Quellen geläufig sind.

Und noch etwas ganz Wichtiges: Das Neue Testament wäre wohl gar nicht geschrieben worden, hätte es nach der grauenvollen Hinrichtung Jesu nicht etwas Besonderes gegeben: jene unbeschreibliche (!) Erfahrung, die seine Jüngerinnen und Jünger so ausdrücken: Jesus lebt, er ist von den Toten auferweckt worden! Wir haben ihn gesehen. – Nun lässt sich freilich nicht beweisen, dass Jesus auferstanden ist, wohl aber, dass Frauen und Männer, darunter auch frühere Gegner, „etwas“ erlebt haben, das sie nie mehr an der Einmaligkeit dieses Jesus zweifeln ließ. Es hat sie vielmehr gedrängt, sein Werk fortzusetzen. In den echten Briefen des Paulus, der als jüdischer Schriftgelehrter zuerst ein erbitterter Gegner und Verfolger der jungen Jesusbewegung war, erfahren wir aus erster Hand, was die „Offenbarung“ des auferstandenen Jesus mit ihm und aus ihm gemacht hat (vgl. Gal 1,11–16).

Zusammenfassend kann man sagen: Ja, das Neue Testament ist durchaus verlässlich, wenn man erfahren will, worum es Jesus ging und wie die ersten Jünger und Jüngerinnen sein Anliegen verstanden, begeistert überliefert und für ihre jeweilige Lebenssituation interpretiert haben. Die Entstehung und Überlieferung des Neuen Testamentes ist gut erforscht, besser als jede andere Schrift der Antike. Man darf behaupten: Das Neue Testament, wie es uns heute vorliegt, ist mit gutem Recht die gemeinsame Glaubensurkunde aller christlichen Kirchen und der geistliche Kompass für alle, die sich an Jesus orientieren wollen.

Karl Veitschegger

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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