Mutworte - Anna Schreiber
Mit dem Verurteilen aufhören

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„Ich rege mich sehr leicht über Fehler meiner Mitmenschen auf. Andererseits fühle ich mich schnell angegriffen, werde wütend oder ziehe mich verletzt zurück. Hängt das zusammen?“
Sie spüren, dass es einen Zusammenhang gibt. So zumindest verstehe ich Ihre Frage. Etwas in Ihnen weiß, dass diese beiden – auf den ersten Blick gegensätzlich scheinenden – Gefühlslagen eine gemeinsame Überschrift tragen. Für mich lautet diese Überschrift: Verurteilung.
Sie fühlen sich „ohne Fehler“, damit „richtig“, damit „besser“, damit „höher“. Die andere Person hat oder macht den „Fehler“, verhält sich damit „falsch“, damit „schlechter“, damit „niedriger“. Das klingt jetzt vielleicht etwas hart, und ich drücke es auch bewusst pointiert aus. Doch damit wird der Zusammenhang deutlicher.
Dieses Erkennen, wie leicht wir innerlich ein Gefälle herstellen zwischen uns und anderen, ist vielleicht unangenehm, ja. Doch peinlich braucht es keinem zu sein, denn wir haben es alle in irgendeinem Maße. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das gegenseitige Vergleichen, in Folge das gegenseitige Urteilen und Verurteilen – leider – zutiefst verankert ist.
Verurteilung schafft Distanz und Leid. Bei allen Beteiligten. Dass Sie sich dieses Zusammenhangs bewusst werden, halte ich für wertvoll und kostbar. Es ist die entscheidende Voraussetzung für jeden einzelnen Menschen und somit für unser aller Miteinander, dass das Verurteilen aufhören darf, Schritt für Schritt.

Dipl.-Psych. Anna Schreiber
ist Psychotherapeutin in Karlsruhe

Autor:

Ingrid Hohl aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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