Welttag der Kranken
Ein Ort der Lebensveränderung

„Schizophrenie“ lautet der Titel dieses Kunstwerks (hier ein Ausschnitt) von Mihaiela Leskovar, das in einer Ausstellung in der Klinik und in der PatientInnen-Zeitschrift des LKH Graz II, Standort Süd, „das GNU“, Veröffentlichung findet.  | Foto: Leskovar
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  • „Schizophrenie“ lautet der Titel dieses Kunstwerks (hier ein Ausschnitt) von Mihaiela Leskovar, das in einer Ausstellung in der Klinik und in der PatientInnen-Zeitschrift des LKH Graz II, Standort Süd, „das GNU“, Veröffentlichung findet.
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Psychische Erkrankungen aus der Tabuzone zu holen ist allen dreien ein großes Anliegen: Ulrike Riedl, P. Johannes König und Christian Gödl erzählen anlässlich des Welttags der Kranken von ihrem Arbeitsalltag in der Krankenhaus-Seelsorge in diesem Feld.

Seit über 30 Jahren ist Ulrike Riedl als Krankenhausseelsorgerin, davon 20 Jahre am LKH Graz II, Standort Süd (ehemals Landesnervenklinik Sigmund Freud), tätig, hat dabei mit Menschen mit unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen zu tun: Depression, Suchterkrankungen, Burnout … und neben vielen Klinik-Namen schon einiges an Wandel erlebt. „Früher waren viele Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen in einer Art Langzeitpflege hier“, erzählt sie, dafür gebe es inzwischen eigene Einrichtungen. Von psychischen Erkrankungen sind alle Schichten der Gesellschaft betroffen, hält Riedl fest, „es gibt Patienten, die selber Ärzte sind, oder Studierende – viele junge Menschen, das ist oft wirklich erschreckend.“

„Bei uns liegen die Patientinnen und Patienten tagsüber in der Regel nicht in ihren Betten“, erklärt P. Johannes König den wohl größten Unterschied zu anderen Krankenhäusern. Der Jesuit ist seit 15 Jahren am LKH Graz II, Standort Süd, als Seelsorger im Team von Leiterin Ulrike Riedl tätig. Meist sind die PatientInnen einige Wochen da und sehen die Seelsorgerinnen und Seelsorger mehrmals während ihres Aufenthaltes. „Wir treffen uns nicht auf ihren Zimmern, sondern machen uns Termine und Treffpunkte aus – oft gehen wir dabei spazieren“, berichtet P. König.

Was die PatientInnen den Krankenhaus-SeelsorgerInnen erzählen, unterliegt der Verschwiegenheit. So ist es auch bei Christian Gödl, der als Seelsorger bei WALKABOUT, der Therapiestation für Drogenkranke der Barmherzigen Brüder in Kainbach bei Graz, arbeitet. Dort hat er bereits die Erfahrung gemacht, dass Menschen deshalb freier mit ihm, dem Seelsorger, reden.

Worüber Menschen mit Suchterkrankungen mit einem Seelsorger sprechen? Von der ganzen Lebensgeschichte bis hin zu aktuellen Ereignissen komme alles vor. Schuld und Tod sind große Themen, so Gödl: „Einmal erzählte mir ein Patient, dass sein bester Freund kürzlich verstorben ist und er nicht zum Begräbnis gehen konnte. Wir haben dann gemeinsam das Grab ausfindig gemacht, und ich bin mit ihm hingefahren. So hat er dort persönlich Abschied nehmen können.“

Dass im Krankenhaus überhaupt jemand nach der Seelsorge fragt, das „verdanken wir allen Begegnungen und Kontakten mit Seelsorgenden, die vorher gewachsen oder geschehen sind“, ist P. König überzeugt. Mit dem Anflug eines Lächelns erzählt er von einem Patienten, den er über viele Jahre begleitet hatte und der ihm kurz vor seinem Tod folgendes sagte: „Sie meinen vielleicht, dass Gott Sie mir geschickt hat – aber es könnte gut sein, dass Gott mich Ihnen geschickt hat!“

Auch auf den forensischen Stationen im LKH Graz II, Standort Süd, wo Menschen behandelt werden, die im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung straffällig geworden sind, sei Seelsorge möglich und „manchmal sogar eine willkommene Ablenkung!“, so P. König. Ob er da nicht auch mal weiche Knie bekäme? „Ich bin nicht ängstlich veranlagt“, schmunzelt er und fügt ernst hinzu: „Ich treffe dort Menschen, mit denen ist irgendwas los, ja – aber in erster Linie treff‘ ich einen Menschen.“ Außerdem ist das Personal für seine Sicherheit verantwortlich. „Wenn irgendwer gefährlich wäre, lassen sie mich eh nicht hin oder sagen mir ‚Heut geht’s ihm nicht gut…‘ – wenn einer zum Beispiel sein Frühstückstablett gegen die Wand geschleudert hat“, erzählt der langjährige Seelsorger.

Veränderung spielt im klinischen Alltag von Menschen mit psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Für Ulrike Riedl, die Leiterin der Krankenhausseelsorge am LKH Graz II, Standort Süd, ist die Krankheit „ein Ort der Lebensveränderung“, denn es stellt sich ganz oft die Frage „Was hat mich krank gemacht?“ und wie kann man sein Leben so verändern, dass es einem wieder besser geht.
Auch bei Christian Gödl auf der Therapiestation für Drogenkranke ist diese Dynamik zu spüren: „Die PatientInnen hier wollen etwas verändern. Das ist eine besondere Situation, in der ich sie begleiten darf.“ Innerhalb der Station herrscht ein wertschätzender und stärkender Umgang, den die PatientInnen nach der Entlassung oft vermissen. Ein Patient sagte vor der Entlassung zum Seelsorger: „Hier werd ich als Mensch gesehen, draußen bin ich meistens nur wieder der Junkie.“

Vorurteile erleben Menschen mit psychischen Erkrankungen immer noch, bestätigen die drei Seelsorgenden unabhängig voneinander. Es habe sich aber schon einiges getan, weiß Ulrike Riedl: „Früher war diese Klinik noch als ‚der Feldhof‘ verschrien, doch mittlerweile kommen die jungen Menschen hierher wie in jede andere Klinik auch.“ Das Team rund um Riedl ist um Öffnung und vielfältige Angebote bemüht: Es gibt Konzerte, Ausstellungs-Vernissagen, seit vielen Jahren die PatientInnen-Zeitschrift „das GNU“, an der auch ehemalige PatientInnen mitarbeiten, außerdem ein Montagscafé mit Live-Musik, Einführungen in Meditation – auch für das Personal, (Trauer-)Rituale, heilsames Singen ...

Leider kämen viele Menschen mit psychischen Erkrankungen oft erst sehr spät in klinische Behandlung, bedauert P. König. „Wir treffen Menschen mit psychischen Erkrankungen erst, wenn sie hier in der Klinik sind. Angehörige und Freunde erleben psychisch krank werdende Menschen schon länger vor uns“, so P. König. Ulrike Riedl nennt auch das Problem der Unterversorgung. Teilweise seien die Wartezeiten auf Therapieplätze untragbar: „Wenn du einen entzündeten Blinddarm hast, brauchst du auch gleich einen Arzt und nicht erst in drei Monaten!“

Einsamkeit ist ein großes Thema, „auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen“, betont P. König. Einen besonderen Wunsch formuliert Ulrike Riedl: „Einsamkeit macht krank. Daher wünsche ich mir, dass wir als Christinnen und Christen, besonders in unseren Pfarrgemeinden, die Menschen im Blick haben, die einsam zu Hause sitzen, und sie nicht allein lassen.“

Katharina Grager

Jesu Vorliebe für die Marginalisierten
Beatrice Frasl schreibt zu Beginn ihres Buches „Patriarchale Belastungsstörung: Geschlecht, Klasse und Psyche“: „Psychisch Kranke sind im Wortsinn marginalisiert. Das lateinische ‚margo‘ bedeutet Rand. Psychisch Kranke werden an diesen Rand und über den Rand hinausgeschoben. Sie kommen in der öffentlichen Debatte selten als Sprechende vor. Es wird über sie gesprochen, sie reden aber nicht mit. Psychische Erkrankung wird aus dem Blickfeld geschafft – sogar physisch, so doch Psychiatrien historisch oftmals am Rande von Städten gebaut wurden.“

Menschen am Rand kommen auch im Evangelium häufig vor (vgl. Besessene von Gerasa Mk 6,1). Jesus geht auf sie zu und versucht sie in die Gemeinschaft hereinzuholen, und sie sind es, die Jesu Identität erkennen und schneller verstehen als andere. Zärtlichkeit und Fürsorge, von der Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Welttag der Kranken spricht, sind auch Haltungen Jesu in Begegnungen mit Menschen, die am Rande sind. Für diese einzustehen, sie zu begleiten und ihnen einen anderen Ort als den Rand zuzuweisen, ist auch im Verständnis der Krankenhausseelsorge im Kontext der Psychiatrie.
Die Psychiatrieseelsorge ist an allen psychiatrischen Standorten der Steiermark vertreten.

Sabine Petritsch, Krankenhaus-Seelsorgerin

IM ORIGINALTON
Papst Franziskus macht in seiner Botschaft zum 31. Welttag der Kranken die Einsamkeit zum Thema.

Durch die Krankheit lernen, nach Gottes Stil zu wandeln

Krankheit ist Teil unserer menschlichen Erfahrung. Aber sie kann unmenschlich werden, wenn sie in Isolation und Verlassenheit gelebt wird, wenn sie nicht von Fürsorge und Mitgefühl begleitet wird. Beim gemeinsamen Wandern ist es normal, dass sich jemand nicht gut fühlt, wegen Müdigkeit oder eines Unfalls auf dem Weg anhalten muss. In diesen Momenten zeigt sich, wie wir unterwegs sind: ob es wirklich ein gemeinsames Gehen ist oder ob wir zwar auf demselben Weg sind, aber jeder für sich, um seine eigenen Interessen zu verfolgen, und die anderen lässt man „sich durchschlagen“. Daher lade ich euch an diesem 31. Welttag der Kranken ein, inmitten eines synodalen Unterwegsseins, darüber nachzudenken, dass wir gerade durch die Erfahrung von Gebrechlichkeit und Krankheit lernen können, gemeinsam nach dem Stil Gottes zu wandeln, der Nähe, Mitgefühl und Zärtlichkeit ist. (…)

Wir sind nie auf die Krankheit vorbereitet; und oft auch nicht darauf, das fortschreitende Alter zuzugeben. Wir fürchten uns vor Verletzlichkeit, und die allgegenwärtige Kultur des Marktes treibt uns dazu an, sie zu leugnen. Für Zerbrechlichkeit gibt es keinen Platz. Es kann dann vorkommen, dass andere uns im Stich lassen oder dass wir den Eindruck haben, dass wir sie verlassen lassen müssen, um ihnen nicht zur Last zu fallen. So beginnt die Einsamkeit (…) In der Tat fällt es uns schwer, in Frieden mit Gott zu bleiben, wenn unsere Beziehung zu anderen und zu uns selbst zerrüttet ist. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die gesamte Kirche auch im Hinblick auf die Krankheit am evangeliumsgemäßen Beispiel des barmherzigen Samariters misst, um ein wahres „Feldlazarett“ zu werden. (…)

Der Welttag der Kranken lädt nicht nur zum Gebet und zur Nähe zu den Leidenden ein, sondern will auch das Volk Gottes, die Einrichtungen des Gesundheitswesens und die Zivilgesellschaft für einen neuen gemeinsamen Fortschritt sensibilisieren.

Papst-Botschaft
Den Wortlaut der gesamten Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag der Kranken finden Sie unter www.vatican.va

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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