Reportage von Brigitte Sonnberger
Jugendorden gibt Hoffnung in Aleppo

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Während sich Europa auf den Krieg in der Ukraine und die drohende Energiekrise konzentriert, gerät der Krieg in Syrien immer mehr in Vergessenheit. Dabei sind die Folgen für die Menschen dramatischer denn je. Ein Lokalaugenschein von Brigitte Sonnberger im Rahmen einer Projektreise von Don Bosco Mission Austria in Aleppo.

Zerstörte Häuser, Ruinensiedlungen, von Einschusslöchern übersäte Wohnungen. Nur wenige Kilometer außerhalb der syrischen Hauptstadt Damaskus Richtung Aleppo sind die Zerstörungen und Spuren des über elf Jahre anhaltenden Krieges sichtbar.

Ich befinde mich auf der M5, der wichtigs­ten Nord-Süd-Verbindungsroute Syriens, die über 450 Kilometer lang die Grenze Jordaniens und die zweitgrößte Stadt Syriens Aleppo verbindet. Es gibt kaum Verkehr, nur wenige LKW und Kleintransporter benutzen den vierspurigen High­way. Über viele Kilometer sind nichts als zerstörte Wohnsiedlungen und Fabriken zu sehen. Eingestürzt, zerschossen, verlassen. Wüs­tenlandschaften wechseln sich mit Zedernwäldern ab. Zerstörte Raststationen und Tankstellen, menschenleer, nur ab und zu verirrt sich eine Schafherde an den Rand der Straße. Eine Szenerie, die das Leid der Menschen in dieser Region nur erahnen lässt.
Nach vier Stunden und etlichen Checkpoints erreicht man Aleppo, jene Stadt im Norden Syriens, die im Krieg besonders stark getroffen wurde. Es ist für mich die zweite Reise nach Syrien, als junge Studentin studierte ich Arabisch in Damaskus und bereiste das Land, das war vor mehr als 25 Jahren. Aleppo war mir noch gut in Erinnerung, eine pulsierende Stadt, mit einem unendlichen Gewirr an Gässchen, fliegenden Händlern und schönen Häusern.

Vom Weltkulturerbe zur Trümmerstadt

Das Aleppo von damals gibt es heute nicht mehr. Aleppo war einer der dramatischsten Kriegsschauplätze in Syrien. Ein großer Teil der von der UNES­CO 1986 als Weltkulturerbe ausgezeichneten Stadt wurde 2016 vom syrischen Präsidenten Asad mithilfe der russischen Luftwaffe in Schutt und Asche gebombt. Apokalyptische Bilder der zerbombten Stadt mit den tausenden Toten gingen um die Welt. Der Osten Aleppos gleicht noch einem Trümmerfeld, beschädigte und eingestürzte Häuser, kaputte Straßenzüge, geplünderte Geschäfte. Es ist kaum vorstellbar, dass in diese Ruinen Menschen zurückkehren.

Von einem Wiederaufbau sieht man in Aleppo nicht viel. Die große Umayyaden-Moschee, die während der Kriegsjahre schwer beschädigt wurde, wird aktuell res­tauriert, ab und zu sieht man Kräne zwischen den Häuserruinen. Vielmehr stechen die zahlreichen Plakate des syrischen Präsidenten ins Auge, Asad freundlich lächelnd in Anzug und Krawatte mit dem Slogan „Aleppo liegt in meinen Augen“, aber auch mit gestrecktem Zeigefinger in militärischer Tarnkleidung mit Sonnenbrille. Ein besonders zynisches Bild.

Ein Rundgang durch den weltweit größten, zwölf Kilometer langen und 350 Hektar großen, überdachten Souk (Geschäftsviertel) offenbart die Bandbreite der Zerstörung. Die ehemals farbenfrohen Geschäfte sind nur noch Ruinen, Löcher in den Wänden, alles ist zerstört. Obwohl keine Kunden vorbeikommen, hat Mohammed D., ein etwa 50-jähriger Mann von rundlicher Statur, sein kleines Geschäft geöffnet. Er verkauft alte Stoffe aus Aleppo, Schmuck und Nippes. Der freundliche Mann zeigt auf die Fotos von vier jungen Männern auf seinem Smartphone und sagt mit Tränen in den Augen: „Ich bin in Aleppo geboren. Jetzt ist das Leben sehr schwer. Ich habe vier Söhne. Ich bin ich mit ihnen nur noch über WhatsApp in Kontakt. Ich habe sie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen, sie arbeiten heute in Istanbul.“

Kaum Strom

Die mangelnde Stromversorgung ist eines der größten Probleme für die Menschen in Syrien, da das Stromnetz in vielen Landesteilen noch immer stark beeinträchtigt ist. Mohamad Jasser, Leiter des UNDP Aleppo (Entwicklungsprogramm der UNO) kommt selbst aus Aleppo. Er erklärt: „Ein Hauptprob­lem ist, dass 2016 die Stromversorgung in Aleppo privaten Eigentümern überlassen wurde. Damit wurde ein Monster geschaffen. Heute gibt es nur noch ein bis zwei Stunden Strom am Tag. Der Rest kommt von privaten Stromgeneratoren, die mit Diesel betrieben werden. Und Diesel wird über den Schwarzmarkt eingekauft.“

Die hohe Inflation und der Verfall der Landeswährung trifft die Menschen im Alltag hart. Ein weiteres Problem sind die im Juni 2020 von den USA verhängten Wirtschaftssanktionen, die weniger die Regierung, sondern vielmehr die Bevölkerung treffen, sagt der Experte des UNDP. 60 Prozent leiden an Hunger.

Leidtragende sind vor allem die Kinder. Das Bildungssys­tem liegt am Boden. Viele Schulen sind noch immer zerstört. Viele Lehrer sind ins Ausland geflüchtet. Eine Stütze der syrischen Bildungseinrichtungen sind Ordensgemeinschaften.

Im Westteil Aleppos betreiben die Salesianer Don Boscos in ihrem Kloster, das 1948 gegründet worden ist, ein Jugendzentrum für Kinder von acht bis 14 Jahren. Auch während des Krieges blieben die Pforten offen. Jeden Nachmittag hört man fröhliches Kinderlachen und ein geschäftiges Kommen und Gehen. Die Salesianer betreuen hier wöchentlich bis zu 800 Kinder. Unterstützt werden sie dabei von rund 120 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es wird gelernt, gebastelt, gesungen, gespielt. Für viele Kinder, die ins Don Bosco Zentrum kommen, ist es die einzige Abwechslung zu ihrem tristen Alltag.

Zentrum ein Stück Normalität

„Die Situation in Aleppo ist sehr dramatisch, die Menschen kämpfen jeden Tag ums Überleben. Es gibt kaum Wasser und Strom, keinen Treibstoff, keine Jobs, viele haben kein Einkommen, oft nicht einmal das Notwendigste zum Überleben. Und es gibt keine Heizungen, im Winter frieren die Menschen. Manche Kinder fragen uns, ob sie zum Haarewaschen kommen können. Denn sie haben kein Wasser zuhause“, erklärt der syrische Salesianerpater Dani Gaurie. Es gibt auch eine Schule im Gebäude, die in den 1960er-Jahren verstaatlicht wurde. Die Salesianer hoffen, dass sie ihre Schule von der Regierung zurückbekommen.

„Viele Kinder, die das Don Bosco Zentrum besuchen, wohnen in entfernten Stadtteilen. Sie werden mit Bussen abgeholt. Genau das ist aber aufgrund der hohen Treibstoffkosten für uns aktuell ein Problem“, erklärt Pater Gaurie. „Der Besuch im Zentrum ist für die jungen Menschen jedoch sehr wichtig. Ein Stück Normalität und Ablenkung. Hier können die Kinder und Jugendlichen lernen, Freunde treffen und gemeinsam spielen.“
Aleppo ist die Heimat der verschiedensten christlichen Gemeinschaften. Insgesamt leben wohl nur noch höchstens 20.000 Christen in Aleppo, schätzt Pater Gaurie. Vor dem Krieg sollen es 250.000 gewesen sein.

„Die jungen Menschen in Syrien haben Hoffnung. Für sie ist es wichtig, ihr Leben gestalten zu können. Aber es wird immer schwieriger und viele denken daran, das Land zu verlassen. Jede Unterstützung, um die Hoffnung nicht zu verlieren, ist gut. Wir Salesianer setzen uns dafür ein, dass die jungen Menschen in Syrien bleiben“, sagt P. Gaurie abschließend.

Don Bosco Mission Austria unterstützt die Arbeit der Salesianer in Syrien seit mehreren Jahren. Nach meiner Rückkehr aus Syrien erhielt ich die Nachricht, dass die Kinder und Jugendlichen, die das Don Bosco Zent­rum besuchen, zukünftig nahrhafte Mahlzeiten bekommen anstatt der einfachen Snacks, die sie bislang erhielten. Für viele Kinder die einzige Mahlzeit am Tag.

Don Bosco Aleppo

Die Salesianer Don Boscos haben Syrien während des Krieges nie verlassen. In Damaskus, Aleppo und Kafroun unterstützen sie Kinder und Jugendliche mit Bildungsangeboten und bieten jungen Menschen Zugang zu beruflicher Ausbildung. Besonders bedürftigen Familien helfen die Salesianer mit Lebensmittelpaketen und Gutscheinen. In der 1948 gegründeten Niederlassung der Salesianer Don Boscos in Aleppo leben zurzeit vier Priester und ein Bruder. Etwa 800 Kinder und Jugendliche besuchen Woche für Woche das Don Bosco Zentrum. Die Jüngsten sind im Volksschulalter, die Ältesten studieren. Rund 120 Jugendliche und junge Erwachsene unterstützen die Salesianer als Erzieher und Animatoren.

Flüchtlingszahlen

6,8 Millionen Menschen mussten das Land seit Ausbruch des Krieges im Jahr 2011 verlassen, und es gibt ebenso viele Binnenflüchtlinge. Jede dritte Person in Syrien ist zur Flucht innerhalb des Landes gezwungen. Syrien bleibt damit weltweit das größte Herkunftsland von Flüchtlingen.

60 Prozent leiden Hunger

Die Inflation und der Verfall der Währung sind freilich das größte Problem. Zu Beginn des Krieges 2011 bekam man für 1 US-Dollar noch 50 syrische Lira, heute bekommt man für 1 US-Dollar rund 4.000 syrische Lira. Für viele Menschen sind sogar Grundnahrungsmittel nicht leistbar. Der Bericht des Welternährungsprogramms (WFP) führt im Juni 2022 an, dass in Syrien 12,4 Millionen Menschen, das sind fast 60 Prozent der Bevölkerung, Hunger leiden.

Möglichkeit zu helfen

Die Don Bosco Mission Austria bittet um Spenden, damit die Salesianer Don Boscos den Menschen in Syrien direkt helfen können: Spendenkonto Don Bosco Mission Austria: IBAN AT33 6000 0000 9001 3423, Kennwort „Syrien“. Die Spende ist steuerlich absetzbar.

Brigitte Sonnberger, Mitarbeiterin von Don Bosco Mission Austria

Autor:

Wolfgang Zarl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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