Gedanken
Wie die Sinnfrage die Gesundheit beeinflusst

Utensilien für die Blutabnahme, darunter Blutentnahmeröhrchen, Nadel und Schlauch, im Labor einer Arztpraxis.  | Foto: Julia Steinbrecht/KNA
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Blutdrucksenker, eine Spritze gegen Hexenschuss, Schmerztabletten – es gibt viele Medikamente, die bei Beschwerden Linderung verschaffen. Das wichtigste Medikament ist für einen Neurowissenschaftler jedoch ein anderes.

Der Bergdoktor verkörpert im Fernsehen einen Typ Mediziner, wie sich viele ihren Arzt wünschen: Zugewandt, zuhörend und mit viel Zeit hat er oder sie den ganzen Menschen im Blick, nicht nur dessen Blutwerte oder Röntgenbilder. Im realen Praxis-Alltag können Patientinnen und Patienten davon oft nur träumen. Das ärgert den Neurowissenschaftler Tobias Esch. Er setzt sich dafür ein, bei der Therapie den ganzen Menschen – dessen Körper, Geist und Seele – anzusprechen, wie er in seinem neuen Buch „Wofür stehen Sie morgens auf?“ darlegt.

Der Allgemeinmediziner und Gesundheitswissenschaftler baut auf die mentale Kraft des Patienten. In den USA hat Esch als Arzt über die sogenannte Mind-Body-Medizin geforscht, die den Einfluss psychologischer, emotionaler, sozialer und spiritueller Faktoren auf die allgemeine Gesundheit und das Wohlbenden berücksichtigt. Hierzulande sei das noch weitgehend Neuland, gehe die Medizin noch immer von der Trennung von Körper und Geist aus, bedauert Esch, der als Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke lehrt und forscht. Häufig habe er Patienten erlebt, die nach dem gängigen, dreidimensionalen Gesundheitsbegriff nicht krank waren. Und doch konnte ich sehen: Es ging ihnen gar nicht gut, sie waren fraglos krank.

Menschen fühlen sich wieder verbunden mit sich selbst, mit ihrer Welt, den Mitmenschen, auch mit etwas Höherem.

Die Frage nach dem individuellen Lebenssinn kann dabei eine große Rolle spielen. Er ist überzeugt: Menschen werden auch krank, weil sie den Sinn in ihrem Leben verloren haben oder nicht erkennen. Viele seiner Patienten hätten sich selbst verloren, sich in der Welt nicht mehr zurechtgefunden, seien nicht mehr zu Hause in ihrem Leben gewesen. Werde dieser Sinn im Leben wiedergefunden, zeigten sich Veränderungen in Richtung Heilung. Menschen fühlen sich dann laut Esch wieder verbunden mit sich selbst, mit ihrer Welt, den Mitmenschen, auch mit etwas Höherem.

So werde etwa ein Burnout oft als Folge äußerer, belastender Verhältnisse und Lebensumstände gesehen. Dabei gebe es dabei auch einen inneren Anteil. Esch deniert Burnout als „Unglücklichkeitserkrankung“; er sieht dahinter eine „geminderte Resonanz, ein Aus-dem-Leben-Fallen, eine fehlende Passung zwischen dem gefühlten Innen und dem Außen“.

Die von Esch aufgeworfene „vierte Dimension der Medizin“ blickt auf das Erleben von Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens sowie auf ein Gefühl von Verbundenheit mit anderen Menschen und der Welt. Unglückliche Menschen erlebten meist einen Mangel an Bedeutung und Bedeutsamkeit. Dabei brauche jeder das Gefühl, einen Sinn im Leben zu haben, eine Aufgabe. Dieser Sinn ist für Esch eines der wichtigsten ‚Medikamente‘, das wir als Menschen besitzen.

Aus seiner Erfahrung schlummern in jedem Erkrankten auch gesunde Anteile. Es gelte, diesen inneren Arzt – die Ressourcen jeder Patientin und jedes Patienten – zu aktivieren und bei der medizinischen Behandlung einzubeziehen. Dann können aus seiner Sicht äußerer und innerer Arzt erfolgreich zusammenarbeiten.

Esch wirbt für echte Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient – keine Halbgötter in Weiß. Ein Mediziner sollte Erkrankte als Gegenüber ernst nehmen, ergründen, was sie bewegt, und Ressourcen entdecken. Dann könnte er erkennen, dass ein Patient nicht nur ein Problem mitbringt, sondern auch eine mögliche Lösung. Solche Begegnungen könnten zu einem wahren Therapie-Booster führen. Angelika Prauß/KNA

„Wofür stehen Sie morgens auf? Warum Sinn und Bedeutung entscheidend für unsere Gesundheit sind“, Gräfe und Unzer 2023, 239 Seiten, gebunden, Preis 25,50 Euro

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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