Ein Licht für den Weg | 2. Adventsonntag
Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott

Die Dunkelheit vertreiben: „Ich mache dich zum Licht unter den Völkern“, schreibt Jesaja. | Foto: Pixabay/Evgeni Tcherkasski, Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
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  • Die Dunkelheit vertreiben: „Ich mache dich zum Licht unter den Völkern“, schreibt Jesaja.
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„Wir sind gekommen, die Dunkelheit zu vertreiben, in unseren Händen tragen wir Licht und Feuer, jeder von uns ist ein kleines Licht“, so heißt es in einem der Lieder, die in diesen Tagen von Jüdinnen und Juden beim „Kerzenzünden“ gesungen werden, wenn sie acht Tage lang das Chanukka-Fest feiern.

von Hubert Gaisbauer

Es gehörte zu den überraschenden Bildern, die im März 2013 den eben zum neuen Bischof von Rom gewählten Kardinal Jorge Mario Bergoglio zeigten: Das Bild, wie er 2012 gemeinsam mit zwei Rabbinern in Buenos Aires die Chanukka-Kerzen entzündet. Seine langjährige Freundschaft mit Abraham Skorka, dem Rektor des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars, veranlassten Bergoglio später, als Papst Yad Vashem und Auschwitz zu besuchen und den von seinen Vorgängern praktizierten Dialog mit dem Judentum fortzusetzen. In einem Buch, das ein Gespräch des Rabbiners mit dem Erzbischof („Über Himmel und Erde“, 2010) dokumentiert, stellten sie übereinstimmend fest, dass Dialog ein roter Faden ist, der sich durch die gemeinsamen Teile der Bibel zieht: „Gott sagte zu Moses, Abraham sagte zu Gott, Gott sagte zu Adam – die Bibel ist ein einziger Dialog! Generell haben doch alle Probleme ihre Ursache im Fehlen eines Dialoges“, sagt Abraham Skorka, „immer wieder werden wir Opfer von Einstellungen, die uns keinen Dialog erlauben: Arroganz, Unfähigkeit zum Zuhören, Feindseligkeit in unserer Sprache.“ Wenn sich Israel als das auserwählte Volk versteht, dann ist dies viel mehr Auftrag als Auszeichnung. „Ich mache dich zum Licht unter den Völkern“, dieses Wort bei Jesaja (49,6) sollten auch christliche Gemeinschaften auf sich beziehen, denn „Gott wählt nie jemanden aus, um andere auszuschließen, sondern immer, um alle einzuschließen“, wie Franziskus erst kürzlich gesagt hat.

Reform?
Heute fragen viele Menschen, was sich in der römisch-katholischen Kirche seit dem Amtsantritt von Franziskus verändert hat. Eines ganz bestimmt: Es haben nicht mehr nur weiße alte Männer in der Kirche das Sagen. Auch Frauen dürfen inzwischen – natürlich ungeweiht – auf höheren Positionen „mitspielen“. Sogenannte fortschrittliche Stimmen werfen ihm zwar vor, dass er sich „vor den nötigen Korrekturen in der Lehre“ drückt, dass ihm Klimawandel und Armut mehr Sorgen machen als die eingefahrenen Strukturen in seiner Kirche. Dass in Umwelt- und Wirtschaftsfragen seine Positionen viel eindeutiger wären, obwohl diese nicht – so manche kritischen Stimmen – zum Kerngeschäft der Kirche gehörten.

Es ist der alte Meinungsstreit: in derselben Richtung weitergehen oder umkehren und den Markierungen der Zeichen der Zeit folgen. Oft verfinstern drohende Wolken des Ungeists der Spaltung das Licht und den Weg der Kirche – und das Gesicht des Papstes. Am 8. Jänner dieses Jahres, dem Fest der Taufe Jesu, fordert er beim Angelusgebet zu einer Gewissenserforschung auf, die sehr gut in den Advent passt: „Wir sollten uns fragen: Bin ich ein Mensch, der spaltet, oder ein Mensch, der teilt? Denken wir darüber nach. Bin ich ein Jünger der Liebe Jesu oder ein Jünger des Geschwätzes, der spaltet und spaltet? Das Geschwätz ist eine tödliche Waffe: Es tötet, es tötet die Liebe, es tötet die Gesellschaft, es tötet die Geschwisterlichkeit.“ Anders gesagt: „Richtet einander nicht aus, sondern richtet einander auf, und redet einander zu Herzen!“

Am Zweiten Adventsonntag lesen wir im Jesaja-Buch die hoffnungsvolle Aufforderung, zu trösten – und sich trösten zu lassen. Papst Franziskus hat oft über das Trösten geschrieben und gesprochen. Mit fein-psychologischem Gespür durchleuchtet er einmal in einer Adventpredigt ein merkwürdiges Phänomen: „Es ist schon seltsam, doch viele Male haben wir Angst vor der Tröstung, Angst davor, getröstet zu werden. Mehr noch: Wir fühlen uns sicherer in der Traurigkeit und Verzweiflung. Warum? Weil wir uns in der Traurigkeit als Hauptpersonen empfinden. In der Tröstung dagegen ist der Heilige Geist die Hauptperson! Er ist es ja, der uns tröstet, er ist es, der uns den Mut schenkt, aus uns herauszugehen. … Und das ist Umkehr. Bitte, lasst euch vom Herrn trösten! Lasst euch vom Herrn trösten!“

Ein Jesuit kehrt um
Nicht erst mit der Wahl des Siebenundsiebzigjährigen zum Bischof von Rom ist aus Bergoglio, dem einstigen strengen Novizenmeister und Provinzial, ein leutseliger Papst geworden. Als Bischof in Buenos Aires gilt er schon als volksnah, bescheiden und den Armen zugewandt. Die Umkehr Bergoglios war kein plötzlicher Augenblick der Gnade, sie geschah vielmehr „nach und nach“, in einem langen Prozess: „Ich habe ihn wachsen sehen“, sagte sein argentinischer Mitbruder Juan Carlos Scannone. Heute sagt und tut Papst Franziskus Dinge, die der Provinzial Bergoglio sicher nicht gutgeheißen hätte. Er weiß inzwischen, dass er nicht immer alles richtig gemacht hat – und hat dafür auch Lehrgeld bezahlt. 2005 verfasste er sogar ein schmales Büchlein mit dem Titel „Über die Selbstanklage. Eine Meditation über das Gewissen“. Damit interpretiert er eine Schrift des heiligen Wüstenvaters Dorotheos von Gaza aus dem 6. Jahrhundert, worin es unter anderem heißt: „Verdächtigungen und Unterstellungen sind voller Bosheit und lassen die Seele niemals in Frieden.“ Man darf aber getrost feststellen, dass die Tatsache, dass Bergoglio vor seiner Wahl zum Papst so selten in Rom war, auch ihre Vorteile hatte. Er stieg nicht die „vatikanische Leiter“ empor und wurde nicht Teil eines Flüsterzirkels, er nährte sich nicht von Andeutungen.

Richtet einander nicht aus, sondern richtet einander auf, und redet einander zu Herzen! 

Papst Franziskus

Franziskus betont immer wieder, er sehe die Kirche als das „einfache und demütige Volk, das in Gottes Gegenwart unterwegs ist“, so auch in seinem vorläufig letzten Statement bei der Weltsynode. Zu den Eigenschaften des gläubigen Gottesvolkes – und nicht der klerikalen Hierarchie – gehöre es, so der Papst, dass es unfehlbar sei. „Wir Mitglieder der Hierarchie kommen ja aus diesem Volk und haben den Glauben von diesem Volk empfangen, im allgemeinen von unseren Müttern und Großmüttern“, erklärte Franziskus. „Es sind die Frauen, die am besten die Kirche widerspiegeln.“

Zehn Jahre später – auf einem Kongress italienischer Katholiken – empfiehlt er Don Camillo, die liebenswerte Roman- und Filmgestalt von Giovanni Guareschi, als pastorales Vorbild für Pfarrer. Weil bei dem Volksnähe und Gebet „Hand in Hand gehen.“ Älteren unter uns werden Dialoge in Erinnerung sein, die man eine kleine Schule des Betens nennen könnte. Da tröstet zum Beispiel Christus – am Kreuz der Kirche – einmal den Don Camillo, weil der den Kommunisten Peppone bei der Bürgermeisterwahl unterstützt hat. Auf das reumütige Bekenntnis Don Camillos folgt die Antwort Christi: „Deine Liebe zu deinem Nächsten hat deine Vernunft schweigen lassen. Gott verzeihe dir, Don Camillo.“ Übrigens hatte schon Johannes XXIII. einmal den Don Camillo-Autor Guares-chi gefragt, ob er nicht an einem neuen Katechismus der katholischen Kirche mitarbeiten wolle. Guareschi hat – leider – höflich abgelehnt.

Träume statt Ängste
Noch einmal Licht. „Was werden wir mit nach Hause nehmen, wenn wir in unser Alltagsleben zurückkehren?“, fragte Papst Franziskus eineinhalb Millionen Menschen, die sich am Sonntag, dem 6. August, zur abschließenden Eucharistiefeier des Weltjugendtags 2023 versammelt hatten. Er forderte sie auf, zu leuchten, zuzuhören, keine Angst zu haben. „Habt also den Mut, Ängste durch Träume zu ersetzen; ersetzt Ängste durch Träume, seid nicht Verwalter von Ängsten, sondern Unternehmer von Träumen!“ Franziskus wiederholte immer wieder, dass Gott „uns so liebt, wie wir sind, nicht wie wir sein möchten, und nicht, wie die Gesellschaft uns haben will.“ Dabei löste er immer wieder Ovationen aus: „Es ist Platz für alle! Alle zusammen, jeder in seiner Sprache, wiederholt mit mir: Alle, alle, alle!“ Von den drei Verhaltensratschlägen, die er den Teilnehmenden mitgeben wollte, war der wichtigste wohl, mit dem Licht Christi zu „leuchten“, der Liebe: „Lieben wie Jesus: Das macht uns hell.“

Die Dunkelheit vertreiben: „Ich mache dich zum Licht unter den Völkern“, schreibt Jesaja. | Foto: Pixabay/Evgeni Tcherkasski, Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
Hubert Gaisbauer Jahrgang 1939, war Hörfunkabteilungsleiter bei Ö1. Er lebt und arbeitet als Publizist in Krems.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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