Mutworte - Anna Schreiber
Wo die Liebe wohnt

„Meine Urenkel kennen ihre Uroma – mich (86) – nicht. Vor vielen Jahren hat meine Tochter den Kontakt zu mir abgebrochen. Auch zu meinen inzwischen erwachsenen Enkeln habe ich keinen Kontakt. Mich schmerzt, dass meine Urenkel vielleicht nie erfahren, wer ihre Uroma war.“

Sie schreiben, dass es für Sie bis heute nicht nachvollziehbar ist, was Ihre Tochter damals bewegt hat, so radikal den Kontakt abzubrechen. Viele Vermittlungs- und Ausspracheangebote Ihrerseits wurden ausgeschlagen. Wie wäre es, wenn Sie einen Strategiewechsel auf mehreren Ebenen vornehmen?
Da Sie nicht wissen, was Ihre Tochter bewegt, gehen Sie probehalber davon aus, dass sie „aus eigener Perspektive“ gute Gründe für ihr Verhalten hat und es zum eigenen Wohl tut. Da Sie möchten, dass es Ihrer Tochter, ihren Enkeln und Urenkeln gut geht, ist das in Ihrem Sinne. Es geht auf Ihre Kosten. Aber es dient, warum auch immer, Ihren Nachkommen. Das ist gut. Damit sind Sie auf der Herzebene, wo die Liebe wohnt. Und Liebe ist tiefer als die Verletzung.

Jetzt die Handlungsebene: Wie wäre es, wenn Sie Ausspracheangebote wegließen. Seit Jahren verlaufen sie im Sand. Wie wäre es, wenn Sie stattdessen unverzagt an Geburtstagen, Weihnachten, Ostern oder auch einfach mal so Ihrer Tochter schreiben. Ohne auf das Ergebnis zu schauen. Sie können auch Briefe schreiben, die vermacht werden. Spätestens nach Ihrem Tod erfahren Ihre Nachkommen, dass mit Liebe an sie gedacht wurde. Sie erfahren, dass ihre Mama, Oma, Uroma sie immer lieb gehabt hat.

Anna Schreiber
Dipl.-Psych. Anna Schreiber ist Psychotherapeutin in Karlsruhe.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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