Shalom für Israel - Salam für Palästina

Foto: Sandner
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Der in Jerusalem lebende Priester und Poet Stephan Wahl wird am 10. Dezember im Rahmen des Sounding Jerusalem Festivals in Graz Texte lesen. Im Gespräch mit dem SONNTAGSBLATT erzählt er, wie er die jüngsten dramatischen Ereignisse im Nahost-Konflikt erlebt und welche Hoffnungen er hat.

Wie kam es, dass Sie in Israel leben?
Seit meiner Schulzeit bin ich dem Land verbunden, habe Ende der Siebziger am ersten Schüleraustausch Bonn–Tel Aviv teilgenommen und später ein Jahr in Jerusalem studiert. Mich hat schon immer die kulturelle und religiöse Vielfalt von Jerusalem fasziniert, mit allem, was dazu gehört. Auch wenn das nicht immer leicht war und ist. Besonders in diesen Wochen – in diesem wunderschönen, leidgeprüften „Heilig-Unheiligen Land“.

Wie erlebten Sie den Überfall der Hamas auf Israel?
Als am 7. Oktober die Warn-App auf meinem Smartphone Raketenbeschuss aus Gaza meldete, hätte ich nicht im Traum gedacht, dass dies der Beginn eines schrecklichen Krieges sein würde. Nicht schon wieder, dachte ich zuerst. Raketen gab es immer mal wieder, auch mit darauffolgender militärischer Reaktion der Israelis. Aber im begrenzten Umfang. Bald wurde klar, dass es sich um eine viel größere Katastrophe handelte. Dann hörte ich auch Sirenen, Detonationen, Lichtstreifen von abgefangenen Raketen über der Weststadt, und mir wurde klar: Das hier ist Krieg. Ich wohne in Ostjerusalem, also im palästinensischen Teil der Stadt, daher fühlte ich mich sicher. Hier würden sicher keine Raketen einschlagen. Jedenfalls aller Wahrscheinlichkeit nach. Als dann die ersten Meldungen über die fürchterlichen, pogromartigen Massaker kamen, war mein Entsetzen grenzenlos.

Was hat sich seitdem verändert?
Ich bin dann am nächsten Tag zum Blutspenden gefahren, um irgendetwas zu tun, und habe bei der Rückkehr schnell gemerkt, dass sich alles verändert hatte. Was würde der
arabische Metzger sagen, wenn er an dem großen Pflaster erkennen könnte, dass ich Blut für israelische Zivilisten und womöglich für Soldaten gespendet hatte? Solche Gedanken hatte ich bisher nie. Ich fühle mich immer noch sicher in meinem palästinensischen Viertel und ziehe trotzdem meist ein T-Shirt mit dem Logo einer arabischen Biermarke an, wenn ich auf die Straße gehe. Oder den Priesterkragen. Aus (vielleicht übervorsichtigen) Sicherheitsgründen, um optisch klarzumachen: Ich bin kein Israeli. Für den israelischen Supermarkt gibt es natürlich dann ein anderes Outfit.

Die Kluft zwischen Palästinensern und Israelis wird täglich größer, je mehr Opfer in Gaza zu beklagen sind und je mehr grausame Details des Massakers bekannt werden. Viele Geschäfte, Restaurants sind auf israelischer Seite geschlossen, aus Trauer oder weil Mitarbeiter zum Militär eingezogen wurden. Und die Altstadt sieht jetzt wieder so aus wie zu Coronazeiten: keine Pilger, keine Touristen. Viele, die von den Besuchern der Stadt leben, hatten sich gerade von der Coronazeit erholt und haben erneut Existenzängste.

Wie haben Sie den Nahost-Konflikt bisher erlebt?
Gerade war wieder, am 4. November, der Jahrestag der Ermordung von Yitzhak Rabin (1995). Damals war der Frieden greifbar und wurde von einem israelischen Fanatiker gleichsam erschossen. Das, was er mit seinem Mord erreichen wollte, ist auf schreckliche Weise Stück für Stück eingetreten und hat jetzt seinen Höhepunkt erreicht: Der Friede scheint unerreichbar. Der Graben zwischen den beiden Völkern ist tief wie nie.
Die Ungerechtigkeit der langjährigen Besatzungspolitik hat die Verzweiflung der Besetzten immer mehr geschürt. Keine Frage. Aber nichts, aber auch gar nichts kann dieses entsetzliche Massaker damit irgendwie erklären oder gar rechtfertigen. Ich werde nie verstehen, wie ein Mensch in der Lage ist, auf eine Rave-Party zu gehen und junge Leute zu erschießen, in ein Haus zu gehen und ein Kind zu töten. Das kann man mit keinem ideologischen oder politischen Hintergrund rechtfertigen.

Aber die Besatzung bleibt das Grundproblem zwischen Israel und Palästina. Mehr denn je. Wer jetzt noch Hoffnung hat, dass sich irgendeine Brücke zwischen beiden Parteien bauen lässt, ist naiv. Jedenfalls im Moment. Ich würde mich gerne mit dieser Prognose irren. Trotzdem ist es gut, dass sich Stimmen wie die von Papst Franziskus deutlich erheben und eine Zwei-Staaten-Lösung anmahnen, an die hier kaum jemand mehr glaubt.

»Ich habe weiterhin Träume: ein befriedetes Land mit zwei Völkern.«

Was ist Ihre Hoffnung für die Zukunft in dieser Region?
Ich habe weiterhin Träume. Trotz allem. Zum Beispiel den momentan völlig utopischen Traum, es gäbe in naher Zukunft auf beiden Seiten richtig gute, vernünftige Anführer mit gewinnendem Charisma, die über ihren Schatten springen könnten und sagen, jetzt lasst uns uns zusammensetzen und egal, wie viele Wunden wir uns geschlagen haben, uns fragen, wie wir im gegenseitigen Respekt für unsere beiden wunderbaren Völker einen neuen Weg finden können in diesem von uns gemeinsam so geliebten Land. Ein befriedetes Land mit zwei Völkern. Dieser Traum ist sehr unrealistisch. Es fehlen eben diese charismatischen Gestalten, die dazu den Mut haben. Trotzdem weigere ich mich, im absoluten Pessimismus zu ertrinken, sondern hoffe und bete darum, dass kein Hass in mir wächst und ich die Hoffnung auf Änderung nicht verliere.

Wie sieht Ihre konkrete Zukunft aus?
Werden Sie in Jerusalem bleiben?

Ich werde gespannt bleiben, jetzt mit beiden Seiten zittern, trauern und weinen, mit den israelischen Opfern des pogromartigen Grauens und auch mit den zivilen Opfern in Gaza, die jetzt den Preis für den Wahnsinn der Hamas-Terroristen zahlen müssen. Nicht alle Palästinenser sind Sympathisanten dieser kalten Fanatiker. „Ich weiß, meine Worte ändern nichts und bedeuten wenig, aber es tut mir so unglaublich leid, was mein Volk eurem Volk antut“, schreibt ein junger Muslim aus Gaza an eine befreundete Israelin. Sie stellt den Gruß ins Internet.
Ich klammere mich an diese kleinen, kostbaren Zeichen verbindender Menschlichkeit, die es auf beiden Seiten gibt, und bitte Gott, dass er die Besonnenen stärke, die Grausamen schwäche und dass die Hoffnung auf Frieden in mir und im ganzen Land nie erlischt. Trotz allem, trotz allem. Als ständiger Gast, der sich trotz allem hier zu Hause fühlt, wache ich immer noch gern in Jerusalem auf. Deshalb sind die Angebote der Botschaft, auszureisen, für mich jetzt keine Option. Das können die Menschen hier auch nicht. Und denen fühle ich mich verbunden. Auf beiden Seiten.

INTERVIEW: Katharina Grager

Sounding Jerusalem
Musikfestival als Friedens- und Begegnungsinitiative:
So. 10.12., 18 Uhr.Shalom – Salam, Frieden!
Gedanken und Klänge zum spirituellen Innehalten. Texte von Stephan Wahl. Musik von A. Pärt, J. S. Bach u. a. Mit Stefan Heckel u. Erich Oskar Huetter.
Schutzengelkirche | Pfarrgasse 25 | 8020 Graz

Der Stern von Bethlehem
Eine weihnachtlich-musikalische Friedensbotschaft aus Bethlehem
17. Dezember, 18 Uhr
Schutzengelkirche | Pfarrgasse 25 | 8020 Graz

Infos und Karten: www.soundingjerusalem.com

GEBET

Psalm eines zivilen Kriegsopfers
Was habe ich getan,
dass ich so leiden muss,
was nur verbrochen,
dass man mich so heftig schlägt.

Andere haben entschieden,
mich fragten sie nicht,
nur wenige waren es,
doch die mit tödlicher Macht.

Sie fanden Gründe,
den Feind zu bekämpfen;
das Recht ist auf unserer Seite,
tönten sie laut.

Doch ihr Feind ist nicht mein Feind,
nie tat er mir was.
Ich kenne ihn nicht,
bin ihm kaum richtig begegnet.

Nie habe ich verstanden
was man mich sehr früh lehrte,
wer Freund ist, wer Feind bleibt,
das war einfach so.

Den Feind malten sie mir
in den dunkelsten Farben,
die Sanften und Friedfertigen
verschwiegen sie mir.

Jetzt ist entflammt
der gräßliche Krieg,
bringt Leid und Verderben,
Vernichtung und Tod.

Geflohen bin ich,
verwüstet mein Haus,
hinter starken Mauern
fand ich jetzt Schutz.

Um mich ein elendes
Schluchzen und Klagen,
ich verlor nur mein Haus,
andere die Mutter, den Sohn.

Ich sehe erschüttert
in entsetzte Gesichter;
sie können nicht fassen,
was um sie geschah.

Siehst du die Tränen,
die zitternden Glieder,
Ewiger, Unbegreiflicher,
bewegt dich das nicht?

Missbraucht wirst du schamlos
von beiden Parteien,
dein Name ist Waffe
für schändliches Tun.

Fahre dazwischen,
lösche die Feuer.
Die Besonnenen stärke,
die Grausamen schwäche.

Und lass mich nicht hassen,
trotz meiner Wunden,
damit die Hoffnung auf Frieden
in mir nie erlischt.

Stephan Wahl
7. Oktober, Simchat Torah 2023

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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