Prävention
Sensibel für die Grenzen

Schutzkonzepte sind Teil der Präventionsarbeit und sollen helfen, Menschen für ein achtsames Miteinander zu sensibilisieren. | Foto: FTiare/iStock
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Was ist ein Schutzkonzept, und wie funktioniert Präventionsarbeit? Im Gespräch mit der diözesanen Präventionsbeauftragten Ingrid Lackner.

Du leitest seit 2011 die Stabsstelle für Prävention gegen Missbrauch und Gewalt in der Katholischen Kirche Steiermark. Wie bist du dazu gekommen?

Ingrid Lackner: Als Leiterin von „Abenteuer Liebe“, das sich ja der sexuellen Bildung von Kindern und Jugendlichen verschrieben hat, war mir das Thema Prävention nicht unbekannt. Sexualaufklärung ist ein Baustein im Bereich der Prävention sexueller Gewalt.

Warum wurde die Stabsstelle eingerichtet?

Lackner: Als 2010 vermehrt Fälle von sexualisierter Gewalt innerhalb der Katholischen Kirche über die Medien bekannt wurden, verfasste die Österreichische Bischofskonferenz eine Rahmenordnung, die Konzepte und Verfahrenswege schaffen sollte, damit Betroffene das erforderliche Gehör finden und Wege der Aufarbeitung ermöglicht werden. Dabei wurden in allen österreichischen Diözesen Stabsstellen für Prävention eingerichtet.

Du sprichst von Missbrauch und von Gewalt. Kann man das synonym verwenden?
Lackner: Das Wort „Missbrauch“, vor allem im Zusammenhang mit Sexualstraftaten, die an Kindern und Jugendlichen verübt werden, würde andeuten, dass es auch einen „rechten Gebrauch“ gäbe. Das ist aber gerade bei sexuellen Übergriffen auf Minderjährige definitiv nicht der Fall.
Aber der Begriff „Missbrauch“ bringt auch das Erleben der Betroffenen zum Ausdruck, dass sie zur Bedürfnisbefriedigung des Täters/der Täterin benutzt wurden. Deshalb spricht man von „Missbrauch und Gewalt“.

Gewalt klingt sehr groß und so, als würde sie ja kaum vorkommen … wie definierst du Gewalt im Blick auf Prävention?
Lackner: Der Fokus in der Präventionsarbeit liegt nicht nur auf sexualisierter Gewalt, sondern alle Gewaltformen sind im Blick. Gewalt beginnt nicht erst mit einer Ohrfeige, sondern schon viel früher: bei Grenzverletzungen, die oft subtil als Grenzverschiebungen beginnen. Auf der Stufenleiter der Gewalt folgen dann Übergriffe, schwere Übergriffe bis hin zu Straftaten.

Wo besteht denn das höchste Risiko für Gewalt?
Lackner: Grundsätzlich gilt: Wo viel Macht ist, besteht ein höheres Risiko. Macht kann ja etwas ganz Gutes sein, weil man andere befähigen kann. Wenn eine Machtposition aber missbraucht wird, dann übt man Gewalt aus. Das kann sehr subtil sein, grenzverletzend oder schwer übergriffig.

Kleine Grenzverletzungen können passieren. Aber wenn ich reflektiert bin, fällt mir das selbst auf, oder mich macht jemand darauf aufmerksam. Dann kann ich mich entschuldigen und mich in Zukunft bemühen, die Grenzen anderer besser zu achten. Aber Menschen, die ihre Macht missbrauchen, setzen Grenzverletzungen bewusst ein und steigern die Übergriffe.

Grenzen können sehr unterschiedlich empfunden werden, oder?
Lackner: Ja, ein Wort kann jemanden sehr treffen und jemand anderen überhaupt nicht! Aber in der Prävention gilt ein Grundsatz: Wenn etwas bei mir als Grenzverletzung ankommt, dann ist es eine Grenzverletzung, auch wenn das Gegenüber es nicht so gemeint hat. Da setzt ein Hauptaspekt von Präventionsarbeit an: Sensibilisierung. Wir Menschen müssen ein Gefühl für achtsames und wertschätzendes Miteinander entwickeln.

Was ist Gewaltprävention?
Lackner: Es gibt drei Stufen von Prävention: Primär gilt es, alle Maßnahmen zu setzen, um Menschen vor Gewalt zu schützen. Sekundär, also wenn etwas passiert, heißt es, die Verfahrenswege zu kennen und die betroffene Person und ihr Umfeld gut zu unterstützen und natürlich die Gewalteinwirkung nachhaltig zu beenden. Und tertiär geht es an die Aufarbeitung: Was können wir daraus lernen? Was müssen wir verändern, um möglichst frühzeitig Gewalt zu erkennen? Diese Erkenntnisse fließen dann in die primäre Prävention, also die Maßnahmen, ein.

Was klar sein muss: 100 % Schutz kann es nie geben, aber Schutzkonzepte können Rahmenbedingungen schaffen, die Machtmissbrauch und Grenzverletzungen erschweren. Wir wollen, dass es bei uns in der Kirche allen gut geht – und zwar so, wie Jesus das vorgelebt hat. Auch wenn wir wissen, dass wir dem Ideal nie ganz entsprechen können. So hat jede und jeder die Aufgabe, dieses Anliegen mitzutragen und mitzudenken.

Stichwort Schutzkonzept: Was ist das, wer braucht so etwas, und wie geht man das an?
Lackner: Gleich vorweg: Bei Schutzkonzepten geht es nicht darum, Papier zu produzieren, sondern eine gewaltfreie Haltung einzuüben. Die Rahmenordnung der Österreichischen Bischofskonferenz sieht vor, dass jede Pfarre ein Schutzkonzept entwickeln sollte. Auch wenn das nach Überforderung klingt, wäre es ein kluges Vorhaben.

Ein Schutzkonzept entwickelt man daher nicht allein, sondern gemeinsam. In einer Pfarre z. B. mit VertreterInnen aller Gruppen, also von der Jungschar, dem Seniorentreff, dem Chor usw. Und man überlegt gemeinsam: Wenn wir eine wertvolle Einrichtung sein wollen, wo Menschen gerne hinkommen: Wie gestalten wir unser Miteinander? Wie können wir jene, die zu uns kommen, bestmöglich schützen?

Gibt es eine konkrete Anleitung zur Erstellung von Schutzkonzepten?
Lackner: Es gibt Vorlagen und einen Leitfaden. Die Überlegungen zum Schutzkonzept beginnen mit einer Risikoanalyse: Was bieten wir an, und wer kommt zu uns? Welche Risiken gibt es, dass Menschen bei uns nicht genug geschützt sein könnten oder sich nicht wohlfühlen könnten? Was braucht es, dass es allen gut geht?
Ein Beispiel wäre die Erstbeichte: Welche Form ist für Kinder ansprechend? Gibt es Wahlfreiheit? Welches Gottesbild spricht durch die Art und Weise der Durchführung? Da geht es neben praktischen Fragen auch ganz schnell ans Eingemachte: an den Kern unseres Glaubens.

Was können solche Schutzkonzepte konkret bringen?
Lackner: Die Vision ist, dass durch Schutzkonzepte Menschen sensibilisierter werden, dass sich Haltungen verändern und dass, wenn etwas passiert, schneller reagiert und Gewalt schon in den Anfängen gestoppt werden kann.

Wer kann sich an dich als Leiterin der Stabsstelle wenden?
Lackner: Alle Menschen, die in einer Situation ein ungutes Gefühl haben und nicht genau wissen: Ist das eine Grenzverletzung oder keine?, können zu mir kommen. Ich helfe auch dabei, über die nächsten Schritte nachzudenken und sicherer zu werden. Außerdem berate ich bei der Erstellung der Schutzkonzepte und autorisiere sie.

Wie gehst du mit schweren Aspekten deiner Arbeit um?
Lackner: Ich nutze die Möglichkeit zur Supervision. Was mir zu schaffen machte, ist die Ohnmacht, dass ich nicht alle Menschen vor unangenehmen oder übergriffigen Situationen beschützen kann. Wenn mir ein Vorfall geschildert wird, aber Betroffene keine Schritte unternehmen wollen oder können, lässt mich das länger nicht los.

Darum ringe ich besonders mit dem gesamtgesellschaftlichen Thema der „Täter-Opfer-Umkehr“. Viele Betroffene trauen sich nicht, etwas zu melden, weil sie befürchten, dass man ihnen nicht glaubt. Sie fürchten, am Ende als VerleumderInnen abgestempelt zu werden. Papst Franziskus selbst sagt, dass wir jene, die etwas melden, besonders beschützen müssen. Aber es gelingt uns nicht. Warum ist das so?

Interview: Katharina Grager

◉ Kontakt: 0676/8742-2383,
ingrid.lackner@graz-seckau.at
praevention.graz-seckau.at

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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