Assistierter Suizid - ethische Anfragen
Beistand statt Druck

Verständnis und Begleitung brauchen Menschen, die vielleicht an Suizid denken, gerade damit sie aufgrund der gesetzlichen Liberalisierung nicht unter Druck kommen. | Foto: Archiv
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Assistierter Suizid. Ethische Anfragen zum Umgang mit dem Recht auf Beihilfe durch Dritte.

Mit kritischen Rückfragen und weiterführenden Überlegungen zum Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über „Assistierten Suizid“ hat sich die Arbeitsgemeinschaft für Moraltheologie Österreich zu Wort gemeldet.

Am 11. Dezember 2020 hatte der Verfassungsgerichtshof das bisherige Verbot der Beihilfe zum Suizid ersatzlos aufgehoben. Nicht aufgehoben wurden dagegen das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ und das Verbot der „Verleitung zum Suizid“. Bei der Zulassung der Beihilfe zum Suizid argumentiert der Verfassungsgerichtshof mit dem „Recht auf Selbstbestimmung“. Dieses enthalte nicht nur das Recht auf Gestaltung des Lebens, sondern auch das Recht, Art und Zeitpunkt des Todes frei zu bestimmen. Damit dieses Recht umsetzbar ist, müsse es das Recht einschließen, dabei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Recht auf Beihilfe zum Suizid sei nur gegeben, wenn eine „freie und selbstbestimmte Entscheidung“ vorliegt.

Wirklich frei? Für den Umgang mit diesem Erkenntnis stellen die österreichischen und Südtiroler MoraltheologInnen, darunter Univ.-Prof. i. R. Walter Schaupp aus Graz, kritische Rückfragen. Erstens drohe ein Übergang von einem Abwehrrecht (der Staat darf sich in eine Entscheidung zum Suizid nicht einmischen) zu einem Anspruchsrecht (es gibt ein Recht auf Beihilfe durch Dritte). Das könnte auch bedeuten, dass der Staat Hilfe verfügbar machen müsse, wenn es im privaten Umfeld keinen bereiten Dritten gibt.

Sehr leicht verwischt werden könnte auch der Unterschied von „Sterbenlassen“ und „(Selbst-)Töten“. Lebenrettende Behandlungen in bestimmten Situationen abzulehnen und sich mit Beihilfe anderer zu töten würde unterschiedslos als Ausdruck des Rechts gesehen, über den eigenen Tod zu bestimmen.
Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Widerspruch zwischen der staatlichen Pflicht, Leben zu schützen, und dem Recht auf Selbstbestimmung. Dabei würde, so die Moraltheologen, die Schwierigkeit unterschätzt, festzustellen, wann wirklich eine freie Entscheidung vorliegt. Suizide könnten eine punktuelle Kurzschlusshandlung sein, eine Reaktion auf zunehmend prekäre Lebensumstände, Endpunkt einer krankhaften psychischen Entwicklung, aber auch in unterschiedlichem Maß Freiheitstat. Ein komplexes Phänomen.

Gefährliche Ausweitung. Aus ethischer Sicht hänge der Wert des Lebens nicht allein von der Selbstbestimmung und Sinngebung des Einzelnen ab. Leben hat als fundamentales Schutzgut einen Wert in sich.
Sorgen bereitet eine mögliche Ausweitung der Liberalisierung. Geht es nur um die freie Willensbildung, könne man die Suizidhilfe nicht an bestimmte Leiden oder das Lebensende binden, sie gelte auch für vielleicht drohende Leiden oder Demenz. Alte und Pflegebedürftige neigen dazu, sich als Last für andere zu empfinden. Die Befürchtung, dass sie mehr und mehr unter Druck geraten, ihr Leben vorzeitig zu beenden, sei realistisch.
„Als Gesellschaft müssen wir sicherstellen, dass auf vulnerable Menschen kein Druck ausgeübt wird, assistierten Suizid zu verlangen. Prekäre soziale Verhältnisse, Erwartungen des Umfelds und versteckte Anreize spielen dabei eine Rolle. Der Einfluss finanzieller Interessen auf entsprechende Entscheidungen muss verhindert werden. Palliativmedizinische Versorgung muss verfügbar sein … Daneben wird es wichtig sein, sich konkreten Menschen, die sich mit Gedanken von Suizid beschäftigen oder um Hilfe dabei bitten, offen und ohne Vorbehalte zuzuwenden.“

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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