Küstenstädte starteten Kulturprogramm
Rijeka und Galway: EU-Kulturhauptstädte 2020

Blick über die Kvarnerbucht Richtung der Hafenstadt Rijeka. | Foto:  Amedee - stock.adobe.com
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Die Region St. Pölten hatte gehofft und den Zuschlag zur EU-Kulturhauptstadt 2024 leider nicht bekommen. Beim kroatischen Rijeka war es umgekehrt: Man hatte sich als „unfertige, raue Industriestadt“ nicht viel Hoffnung gemacht, in den Genuss dieser Ehre zu kommen – und doch wurde Rijeka, neben dem irischen Galway, zur EU-Kulturhauptstadt 2020 erklärt. Rijekas Leitmotiv für heuer lautet „Luka razlicitosti“, also „Hafen der Vielfalt“. Mit dem Motto wolle man in mehr als 600 Programmpunkten die beiden prägenden Aspekte verbinden: Den wichtigen Hafen und die Weltoffenheit der Stadt und ihrer Bewohner.

Älteste Kirche Kroatiens

Rijeka, die drittgrößte Stadt Kroatiens, kennen viele nur vom Vorbeifahren – auf dem Weg zu den kroatischen Adriaorten Zadar, Split oder Dubrovnik oder als unscheinbarer Nachbarort des mondänen Opatija. Tatsächlich ist der erste Blick auf die Hafenstadt am Fluß Rijcina in der Kvarner Bucht nicht sehr vielversprechend: Riesige Kräne und Gebäude der Zucker- oder Papierfabriken, Werften, Ölraffinerien und andere Industrieanlagen dominieren das Erscheinungsbild der Stadt und ihrer Küste. Im Hafen dümpelt das einstige Luxusschiff von Tito als Rostschrotthaufen vor sich hin. Eigentlich sollte die „Galeb“ (Möwe) bis spätestens Anfang 2020 saniert und als Museum umgebaut sein – doch der Termin wurde auf Ende des Jahres verlegt. Tito-Gegner befürchteten, mit der Sanierung könnte der einstige sozialistischen Diktator Jugoslawiens verherrlicht werden. Also schob man die Sache hinaus, bis das Europäische Kulturjahr vorbei ist.

Der Charme der Hafenstadt zeigt sich beim zweiten Hinsehen, wenn man an der Uferstraße der prunkvollen Paläste aus der k.u.k.-Zeit gewahr wird. Sie zeugen von der bewegten Vergangenheit Rijekas. Allein im 20. Jahrhundert gehörte die Stadt zu sieben verschiedenen Staaten – vom Habsburger Reich über Italien und Jugoslawien bis zur heutigen Republik Kroatien.

Von 1924 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war Rijeka sogar geteilt durch eine meterhohe Mauer, die die Stadt in zwei Teile trennte. Ein Teil gehörte zu Italien, der andere zum damaligen Königreich Jugoslawien. 1945 ließ Tito, nach dem Sieg der Partisanen über die Italiener, die Grenzmauer abbauen. Seitdem ist der Ort Sušak Teil der Stadt. In Sušak liegt die Basilika Unserer Lieben Frau von Trsat. Das um 1431 erbaute Gotteshaus im Erzbistum Rijeka gilt als älteste Kirche und einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Kroatiens.

Die goldene Ära Rijekas

Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Rijeka zur österreichisch-ungarischen
k. u. k.-Doppelmonarchie – genannt St. Veit am Flaum. Die Österreicher hatten Triest als ihren Hafen auserkoren, der „Konkurrent“ Rijeka wurde nicht be­nötigt und den Ungarn zur Verwaltung zur Verfügung gestellt. Die Ungarn bauten Rijeka zu einem großen Adriahafen aus, sodass diese Zeit zur goldenen Ära der Stadt wurde. Da die Ungarn zur Kontrolle der Kroaten viele italienische Geschäfts- und Kaufleute nach Rijeka holten, bestand die Mehrheit der Bewohner damals aus Italienern.

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten die Italiener mehrfach, sich Rijeka militärisch anzueignen. Die ersten beiden Expeditionen scheiterten, dann hatte der exzentrische Soldaten-Dichter und Faschist Gabriele D’Annunzio Erfolg. Er stellte eine Privatarmee von einigen Tausend Freischärlern auf und zog von Triest nach Fiume, wie Rijeka auf Italienisch heißt. Ohne auf Widerstand zu stoßen, eroberte er den dortigen Gouverneurspalast. Finanziert hatte die Eroberung Triestiner Unternehmer. Zu groß war ihre Sorge, dass Fiume eine unbeherrschbare Konkurrenz für die italienischen Häfen werden könnte. Nach 15 Monaten musste D’Annunzio Rijeka räumen. Die Einschusslöcher im Gouverneurspalast sind bis heute zu sehen: Italienische Kriegsschiffe hatten den Sitz D’Annunzios vom Hafen aus bombardiert.

Postindustrielle Stadt im Übergang zur Kulturmetropole

Rijeka war 1945 eine Festung der Deutschen. Sie versuchten die Hafenstadt zu halten, doch die Partisanen, fast ausschließlich serbische, eroberten die Stadt in wenigen Tagen. Heute will sich kaum jemand in Rijeka an diese Befreiung erinnern, allzu sehr steckt den Kroaten der Krieg mit den Serben aus den 1990er-Jahren in den Knochen.

Unter der Tito-Herrschaft entwickelte sich Rijeka zu einer sozialistischen Musterstadt. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Gesicht der eins­tigen Hafen- und Industriemetropole gewandelt: Zehntausende von Arbeitsplätzen gingen durch die Automatisierung und Digitalisierung verloren. Heute meldet die Software auf einem Schiff der Software im Hafen, wo sich die Ware befindet, die geladen oder gelöscht werden muss. Der Hafen bietet nur mehr einigen Hunderten Menschen Arbeit. Rijeka präsentiert sich als eine postindustrielle Stadt im Übergang zur Kulturmetropole.

Kulturspektakel zur Eröffnung

Nicht zuletzt deshalb kommt der Hafenstadt der Titel Kulturhauptstadt sehr gelegen. Das bereitgestellte Geld wird dringend benötigt, um die archetektonischen Schönheiten aus Renaissance und Barock, die Kirchen oder Bürgerhäuser wieder im alten Glanz erstrahlen zu lassen. Zum reichen Kulturangebot gehören z. B. eine Ausstellung unter dem Titel „Glühendes Meer“ und beim „Porto Etno“ dreht sich alles um Weltmusik und Gastronomie.

Mit einem Kulturspektakel mit mehr als 200 Darstellern eröffnete Rijeka am 1. Februar an mehr als 30 verschiedenen Standorten das Kulturhauptstadt-Jahr.

Nähere Informationen zu den heurigen Veranstaltungen in Rijeka unter: https://rijeka2020.eu/en.

Galway: Jugend, Musik und Botschaft gegen Brexit

Die zweite Kulturhauptstadt der Europäischen Union 2020 ist Galway an der Westküste Irlands. Anders als bei Rijeka, die die erste EU-Kulturhauptstadt Kroatiens ist, ist Galway die bereits dritte Stadt der grünen Insel, die sich mit diesem Titel schmücken darf.

Galway liegt etwa 160 Kilometer von der Grenze zum britischen Landesteil Nordirland entfernt. Das erhitzt die Gemüter: Nach dem Brexit befürchten Kritiker, dass nun wieder Spannungen zwischen Nordirland und der EU-Republik Irland aufflammen könnten: Im jahrzehntelangen Nordirlandkonflikt standen Katholiken, die eine Vereinigung mit Irland anstrebten, protestantischen Unionisten gegenüber, die weiterhin zu Großbritannien gehören wollten. In dem Bürgerkrieg starben Tausende Menschen, Zehntausende wurden verletzt. Nun hofft man auf eine verbindende Wirkung des angebotenen Kulturprogramms für die lokalen, nationalen und EU-Gemeinschaften, zu „denen wir alle gehören“, wie der irische Präsident Michael Higgins anlässlich der Eröffnung sagte.

Galway gilt als Hochburg der traditionellen Musik des Landes, hat eine beachtliche Kunstszene und ist vor allem bei Studenten beliebt. Das einstige Fischerdorf ist die am schnellsten wachsende Stadt Irlands: Aus 40.000 Einwohnern vor 30 Jahren sind inzwischen über 80.000 geworden, Tendenz steigend. Für den Boom sorgen vor allem die Studenten. Ein Viertel der Einwohner ist an einer der beiden Universitäten eingeschrieben.

Das Programm für die Kulturhauptstadt Galway ist in drei Themenfelder Sprache, Landschaft und Migration gegliedert, es beinhaltet 2000 Veranstaltungen und unterteilt das Programm – entsprechend des alten traditionellen keltischen Kalendern – in die vier Jahreskreise Imbolc, Bealtaine, Lughnasa und Samhain. Der Startpunkt war Imbolc am 1. Februar, der gleichzeitig der Festtag der Heiligen Brigid von Kildare, einer der Schutzpatrone Irlands, ist.

Nähere Informationen zu den Veranstaltungen in Galway unter: https://galway2020.ie/en.

Autor:

Sonja Planitzer aus Niederösterreich | Kirche bunt

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