Bücherschätze in unseren Stiften
Mein Lieblingsbuch: "Moderne Zeiten"
- Dr. Andreas Gamerith, Stiftsbibliothekar im Stift Zwettl, mit seinem Lieblingsbuch.
- Foto: Stiftsbibliothek Zwettl
- hochgeladen von Patricia Harant-Schagerl
Wir haben Stiftsbibliothekar Dr. Andreas Gamerith gefragt, welches Werk der Stiftsbibliothek Zwettl ihm besonders am Herzen liegt. Hier seine überraschende Antwort.
Leicht ist die Frage nach einem Lieblingsbuch nicht zu beantworten. Die Zwettler Manuskripte des Mittelalters beeindrucken mich mit ihrer Disziplin und Schlichtheit – im Unterschied zu anderen Orden verzichteten die Zisterzienser ja bewusst auf alle Ausschmückungen, die vom Inhalt hätten ablenken können. Auch unsere jüngste Handschrift, der Codex 420 von P. Florian Paucke, ist ein respektables Werk: über 1.144 Seiten in gestochener Schrift, die das Leben in Südamerika im 18. Jahrhundert wiedergeben – und das in einer Sympathie, die keine europäische Überheblichkeit des Autors erkennen lässt.
Wenn es ein Lieblingsbuch gäbe, wäre es vielleicht eine Sammlung, die P. Adelbert Pfeiffer am Beginn des Biedermeier zusammengestellt hat: unzählige Broschüren aus der Zeit nach 1780, die aufgrund ihrer kritischen Haltung zumeist nur unter dem Ladentisch verkauft werden durften. Teils lustige Schriften, teils Druckwerke, die sich mit unerbittlicher Härte auch gegen das Glaubensleben des Barock richten. Unter dem Titel „Neue Welt“ – man könnte es übersetzen mit „Moderne Zeiten“ – hat er diese Pamphlete zusammengestellt, eine Sammlung, die die Schwierigkeiten von Frömmigkeit und Spiritualität im Kreuzfeuer der Aufklärung illustriert.
Warum – ausgerechnet! – eine Sammlung, die von ausgesprochener Kirchenkritik geprägt ist? Unser Blick in die Vergangenheit täuscht manchmal idealere Zeiten vor, in denen sich das Leben als Christ, als Christin einfacher gestalten hätte lassen. Das Konvolut der „Neuen Welt“, in dem bissig gegen Sakramente, Kirche und Glaubensleben gewettert wird, zeichnet da ein anderes Bild. Gerade im Advent möchte ich diese alte (und immer wieder neue) Kritik aber positiv sehen: Kann ich das Erscheinen Gottes in unserer Mitte, seine Menschwerdung erwarten, wenn ich selbst nicht bereit bin, meine Lebensweisen zu ändern? Meine festgefahrenen, liebgewonnenen Ansichten zu hinterfragen …?
Andreas Gamerith
Zur Person: Geboren und aufgewachsen im Waldviertel studierte Andreas Gamerith Kunstgeschichte in Wien und in Rom. Seit 2013 zeichnet er für Archiv, Bibliothek sowie die Kunstsammlungen des Stiftes Zwettl verantwortlich.
Autor:Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt |
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