Interview mit Religionspädagoge Albert Biesinger
„Kinder sind Gottesberührung“

Kinder staunen, sind neugierig. Sie sind für Fragen nach Gott durchlässiger als Erwachsene. | Foto: Igor – adobe.stock.com
  • Kinder staunen, sind neugierig. Sie sind für Fragen nach Gott durchlässiger als Erwachsene.
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Er ist so etwas wie der Doyen der Religionspädagogik, der emeritierte Universitätsprofessor Albert Biesinger. Im Interview mit „Kirche bunt“ erklärt er, wie man im eigenen familiären Alltag Gott wahrnehmen kann, warum Religion für alle Kinder wichtig ist – und was er als den „roten Faden“ in seiner Lebensgeschichte betrachtet.

Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Wo Kinder sind, ist Gott schon da.“ Inwiefern ist Gott in einer Familie durch die Kinder gegenwärtig?

Albert Biesinger: Kinder sind Gottesbe­rüh­rung. Natürlich holen Eltern ihr Kind ins Leben. Aber es steckt spirituell ein großes Geheimnis dahinter: Der Schöpfer der Welt vertraut diesen beiden Menschen Zukunft an, einen neuen Menschen, den es ohne sie nicht geben würde. Wenn man tiefgründiger denkt, ist das Kind ein Ergebnis der Schöpfungskraft Gottes. Kinder sind göttliche Gabe und Aufgabe.

Und die Kinder selbst – sind sie von sich aus religiös? Glaubt jedes Kind an Gott?

Albert Biesinger: Kinder haben in verschiedenen Entwicklungsphasen große Fragen. Sie staunen, sind neugierig und bringen manchmal ihre Eltern mit ihren Warum-Fragen an den Rand dessen, was sie noch sagen können. Dazu haben wir eine ganze Buchreihe im Kösel-Verlag entwickelt, um Kinder entsprechend kognitiv und emotional zu begleiten und ihre Eltern dabei zu unterstützen.
Vielleicht sind Kinder auch deswegen durchlässiger für diese Fragen, weil sie noch nicht so „eingespurt“ sind in die üblichen Schubladen unserer Gesellschaft. Es gibt aber auch Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen, in der religiöse Suchprozesse ausgegrenzt werden und sie damit keine Antenne für Gott entwickeln können. Ich habe dies erlebt in China, in Situationen nach der Wende in der früheren DDR. Für Kinder wurden religiöse Orientierungen von vorneherein ausgebremst oder ganz zerstört.

Ein anderes ihrer Bücher heißt „Kinder nicht um Gott betrügen“. Warum ist es wichtig, Kindern eine Beziehung zu Gott zu erschließen?

Albert Biesinger: Kinder gewinnen durch religiöse Bildung einen erweiterten Sinnhorizont. Es öffnet sich für sie der Himmel. Sie bekommen Hinweise auf die Fragen: Woher komme ich, warum gibt es mich überhaupt, warum kommt man überhaupt auf die Welt, wenn man eh wieder sterben muss …?
Wenn man Kindern diese religiösen Suchprozesse verbaut, kann dies sehr autoritär sein. Nach dem Motto: „Gott ist für dich aber nichts. Das ist alles unwichtig, das haben wir als deine Eltern für dich entschieden.“
Manche Eltern denken auch nicht sehr weit, wenn sie wollen, dass ihr Kind später selber entscheiden soll, ob es an Gott glaubt. Humorvoll erwidere ich: Ich spreche ja auch nicht zehn Jahre lang mit meinem Kind nicht deutsch, weil ich befürchte, dass es mit elf Jahren sagt: Eigentlich wollte ich Chinesisch lernen!
Zunächst leben Kinder im Sprach- und Wertesystem ihrer Eltern – auch im religiösen Sprachsystem. Sie können in unserer Gesellschaft später ja immer noch entscheiden, ob sie christlich sein wollen oder eben nicht.

Was sind einfache Möglichkeiten, mit Kindern in Beziehung zu Gott zu treten?

Albert Biesinger: Religiöse Bildung entsteht am besten über Rituale. Segnen Sie Ihr Kind, wenn es morgens aus dem Haus geht. Sie können ihm die Hand auf den Kopf legen, „Gott beschütze dich“, ein kurzer Blick und Kinder gehen spirituell behütet anders aus dem Haus.
Vor dem Essen, auch wenn es angesichts von Ganztagsbetreuung und beruflichen Zusammenhängen nur einmal am Tag möglich ist: Wir reichen uns die Hände. „Jedes Tierlein hat sein Essen, jede Pflanze trinkt von dir, hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott, wir danken dir!“ Ein Gebet, das jedes Kind versteht. Man kann mit den Kindern auch gemeinsam frei beten: „Lieber Gott, wir danken dir, dass wir überhaupt etwas zu essen haben. Hilf auch den Kindern, die heute schon wieder nichts zu essen haben.“ Religiöse Bildung muss alltagstauglich und niederschwellig sein.
Eltern wollen für ihre Kinder das Beste. Musikalische Früherziehung, Sportvereine, Ballett, und dann kommt noch der Anspruch: „Erziehe dein Kind religiös!“, der Eltern zusätzlichen Stress machen kann. Religiöse Bildung ist aber das Gegenteil von Stress, nämlich Entschleunigung, die Luft raus lassen und Vertiefung der Kommunikation.

In welchen Situationen des Familienalltags wird Gott erfahrbar, wo liegen Ihrer Erfahrung nach die größten Chancen auf eine Gottesbegegnung?

Albert Biesinger: Am intensivsten ist das gemeinsame Abendritual mit Kindern. Ich habe unseren Kindern oft an ihrem Bett sitzend aus der Bibel vorgelesen und mit ihnen den Tag durchgesprochen. „Was war heute schön, was war nicht so schön?“ Unsere damals fünfjährige Tochter hat spontan auf diese Frage gesagt: „Lieber Gott, heute war es gar nicht schön. Der Moritz hat mich gehaut, dann habe ich ihn auch gehaut. Schlaf gut, lieber Gott.“
Was ist daran schwierig, als Vater oder Mutter am Abend sich diese wertvolle Zeit mit dem Kind zu nehmen, um noch einmal den gemeinsamen Tag zu besprechen, uns gemeinsam Gott anzuvertrauen? Kinder gewinnen durch dieses Abendritual Geborgenheit, Behütung, Konfliktlösung und vor allem auch das grundlegende Gefühl von Stabilität.

Familien, die keinen Bezug zu Gott haben, die dem Glauben gleichgültig bis ablehnend gegenüberstehen – ist auch bei ihnen Gott gegenwärtig?

Albert Biesinger: Gott wohnt in allen Menschen, er ist schließlich ihr Schöpfer. Entscheidend ist, ob sie dies wahrnehmen können, es merken, dass sie von Gott umhüllt sind, Gott sie auf ihrem Weg begleitet und ihnen von seiner Geisteskraft geistige Möglichkeiten weitergibt.
Auch Kinder von Eltern, die nicht an Gott glauben, haben ein Recht darauf, dass sie spirituelle Orientierung bekommen. Es kann ja auch sehr autoritär sein, wenn Eltern ihren Kindern religiöse Wege verbauen.

Sie blicken auf ein erfülltes Leben zurück, waren Universitätsprofessor, gründeten die Stiftung „Gottesbeziehung in Familien“, sind Ehemann, Vater, Großvater, Diakon. Sie haben sogar eine Nahtoderfahrung gemacht. Was empfinden Sie als Ihre Lebens­aufgabe, den „roten Faden“ in Ihrer Lebensgeschichte?

Albert Biesinger: Mit großer Dankbarkeit blicke ich auf mein bisheriges Leben zurück. Ich habe sehr viele Engel am Wege gehabt, schon in meiner Kindheit und Jugendzeit, denen ich viel verdanke – meine Eltern, beeindruckende Priester und Religionslehrer. Ganz wichtige Engel am Wege waren und sind unsere vier Kinder und neun Enkel, die mich seit vielen Jahren bis heute religionspädagogisch herausfordern, lebensnah zu sprechen.
Der spirituelle rote Faden meiner Lebensgeschichte ist die Jesus-Gebet-Meditation. Seit Jahrzehnten bete ich täglich mental still oder singend „Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich unser“ oder „Jesus Christus“ vor mich hin. Es ist das christliche Mantragebet der frühkirchlichen Mönche. Diese tägliche Unterbrechung des Üblichen öffnet mich für den weiten Horizont der personalen Beziehung zu Gott, dem ich mich jeden Abend so anvertraue, als ob ich am anderen Morgen nicht mehr aufwache.

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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