Kultur
Die Mauer spüren

Entlang der Mauer der Justizanstalt Graz-Karlau lädt ein Hörspiel zum Spaziergang ein. Insassen erarbeiteten mit Gefängnisseelsorger Sepp Riedl und Theaterpädagogin Julia Gratzer ein Hörtheater auf der Grundlage von Johann Nestroys „Lumpazivagabundus“. | Foto: Gratzer
  • Entlang der Mauer der Justizanstalt Graz-Karlau lädt ein Hörspiel zum Spaziergang ein. Insassen erarbeiteten mit Gefängnisseelsorger Sepp Riedl und Theaterpädagogin Julia Gratzer ein Hörtheater auf der Grundlage von Johann Nestroys „Lumpazivagabundus“.
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Ein Häfntheater zum Hören. Ein Kulturprojekt von Justizanstalt Karlau und Schauspielhaus Graz.

Wir sind seit 12.204 Tagen hinter diesen Mauern, 339 Jahre alt und von unserer nächsten Chance eine Unendlichkeit entfernt. Ihr Vagabunden und anderen Herumtreiber: Wir können euch berichten von Sternenbildern tief aus der Nacht, warnen vor Kämpfen vor und hinter unseren Mauern … Um uns kreisen Millionen, nein, unendlich viele Geschichten.“ Mit diesen Worten begrüßt die Erzählerstimme, gelesen von Benedikt Kaiser, die Zuhörenden des Hörspielspazierganges rund um die Mauer der Justizanstalt Graz-Karlau.

Entstanden ist das Hörspiel aus der Not heraus. Ursprünglich plante Gefängnisseelsorger Sepp Riedl eine Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz für das Kulturjahr 2020/2021 der Stadt Graz. Es sollte ein Theaterstück werden. Doch dann kam die Pandemie. „Zunächst hat uns Corona nicht weiter gestört“, erzählt Sepp Riedl, „weil wir sowieso erst im Herbst 2020 starten wollten.“ Doch dann kam noch ein Lockdown, „und jeglicher Zugang zur Justizanstalt wurde auf das Nötigste beschränkt“, erinnert sich Riedl.

Also wurde das „Häfntheater“ kurzerhand in ein Hörspielprojekt umgewandelt. Die Grundlage war Nestroys „Lumpazivagabundus“, bei dem sich alles um drei Handwerksgesellen dreht, die mit einem Geldgewinn das große Los gezogen haben – wäre da nicht eine Wette zwischen Lumpazivagabundus, dem Beschützer aller Gauner und Trinker, und der Glücksfee Fortuna, die alles daran setzen, die Seelen der Handwerker für sich zu gewinnen. Die Theaterpädagogin Julia Gratzer erarbeitete das Hörspiel mit interessierten Insassen.
Als Aha-Moment empfand Sepp Riedl, wie es Gratzer gelang, „anhand von Themen aus dem Stück – wie Glück, Liebe, Geld, Gier oder Wunschträume – die Insassen zum Gespräch, zu Mitteilungen aus dem eigenen Leben und zur Reflexion von Lebensentscheidungen anzuregen“. Und das, obwohl die Treffen als Videokonferenz stattfinden mussten.

„Wer den Weg um die Justizanstalt herum macht, bekommt die Mauer auch körperlich zu spüren“, hält Sepp Riedl fest. Sie ist unüberwindbar, und doch kommen einem die Insassen durch das Hörspiel nahe. „Die Männer sind während des Rundganges nie mehr als 100 Meter entfernt. Und doch unerreichbar“, beschreibt Riedl eine Besonderheit des Hörspielspazierganges. Was man zu hören bekommt? „Es geht um überraschende Lebenseinsichten“ von – für manche vielleicht überraschend – „normalen Menschen und keinen Monstern oder Bestien“, so der Seelsorger.

Katharina Grager

Theatergespräch
Mittwoch, 17. November
16–17 Uhr: Theater-Hörstationen,
17–18 Uhr: Gespräch mit Gefängnisseelsorger Mag. Sepp Riedl, Hofrat Dr. Josef Mock (Leiter der Justizanstalt), Mag. Julia Gratzer (Theaterpädagogin) und Karla Mäder (Chefdramaturgin Schauspielhaus Graz). Moderation: Dr. Gertraud Schaller-Pressler (Katholische Stadtkirche Graz/Kultur). Bitte Smartphone mitbringen (möglichst auch Kopf-/Ohrhörer). Die Veranstaltung findet unter den COVID-Vorgaben statt. Anmeldung erforderlich bis spätestens 15. November: gertraud.schaller-pressler@graz-seckau.at, Tel. 0676/8742 6851. Treffpunkt: Haupteingang Justizanstalt, Hergottwiesgasse 50, Graz.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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