Spiritualität
Worauf kann ich mich verlassen?

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem berühmten Gedicht kurz vor seiner Ermordung im KZ von den guten Mächten gesprochen, die uns tragen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ | Foto: Pcess609 – stock.adobe.com
  • Dietrich Bonhoeffer hat in seinem berühmten Gedicht kurz vor seiner Ermordung im KZ von den guten Mächten gesprochen, die uns tragen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
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Wie finde ich einen festen Stand in der Hektik der Zeit?

Alles ändert sich rasend schnell und mit großem Getöse. Das ist eine Erfahrung besonders unserer Zeit. Um im Trubel der Ereignisse einen festen Stand zu finden, muss ich erst einmal stehenbleiben, anstatt immer weiterzuhetzen. Stehenbleiben heißt: still werden. Das Wort „Stille“ kommt von „stellen“. Wenn ich diesem Zusammenhang nachmeditiere, zeigt sich eine erste Antwort auf die Frage: Ich stelle mich hin, um auf die Stille zu horchen, die um mich herum und die in mir ist. In der Stille bekomme ich einen festen Stand. Ich halte es aus bei mir. Ich weiß mich getragen.

Wenn ich stehenbleibe, kann ich mich fragen: Was gibt mir Stand? Was sind meine Wurzeln, die mir Sicherheit geben? Ich habe teil an den Wurzeln der Eltern und Großeltern, an den Wurzeln der Menschen in meiner Heimat. Ihre Lebenseinstellung, ihre Art und Weise, auf die Probleme und Konflikte des Lebens zu reagieren, haben sich in mich eingeprägt. Sie geben mir Festigkeit – einen gewissen Stand. Ich habe Steh­vermögen, wenn ich zu mir stehen kann, so wie ich bin. Für mich einstehen, zu mir stehen, das sind die Voraussetzungen, mitten in der Hektik der Zeit einen festen Stand zu finden. Ich muss mich nicht ständig nach den andern richten. Ich bleibe in dem stehen, der ich bin.

Auch der Glaube kann mitten in der Hektik der Verhältnisse und im turbulenten Wechsel der Möglichkeiten einen guten Stand geben. Der Hebräerbrief definiert den Glauben als „Feststehen in dem, was man erhofft“. (Hebr 11,1) Glauben heißt: einen guten Stand haben, feststehen können, ohne mich nach dem Wind der täglich wechselnden Meinungen drehen zu müssen. Beim Propheten Jesaja wird Glauben und Stehen zusammen gesehen: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht, so habt ihr kein Stehvermögen.“ (vgl. Jes 7,9)

Paulus spricht davon, dass wir im Glauben feststehen sollen. Wir stehen in einer größeren Wirklichkeit, die uns Halt gibt mitten in der Haltlosigkeit der Welt. Erst wenn ich still stehe, kann ich mich fragen: Worauf kann ich bauen? Sind es die Menschen und ihre Zuwendung? Die geben nur bedingt festen Stand. Letztlich werde ich bei allem, wonach ich Ausschau halte, auf einen letzten Grund stoßen, auf Gott. Jesus spricht davon, dass wir unser Haus auf den Felsen seiner Worte bauen sollen und nicht auf den Sand unserer Illusionen, etwa auf den Sand der Illusion, wir könnten von der Zustimmung und Zuwendung der Menschen leben.

Wir müssen also aus der Zeit heraustreten, um in ihr einen festen Stand zu finden. Der Glaube ist ein Heraustreten aus dem Strudel, um einen festen Grund zu finden, auf dem wir das Haus unseres Lebens bauen können, ohne dass es einstürzt. Wenn ich einen festen Stand im Glauben habe, dann kann ich auch in eine gute Beziehung treten, in die Beziehung zu Gott, in dem ich stehe, aber auch in Beziehung zu mir selbst und zu den Menschen. Psychologen meinen, die Krankheit unserer Zeit sei die Beziehungslosigkeit.Viele hätten weder zu sich selbst eine Beziehung, noch zu den Dingen, noch zu den Menschen oder zu Gott. Für mich ist der Glaube vor allem die Fähigkeit, alles in meinem Leben in Beziehung zu setzen zu Gott und letztlich selbst immer in Beziehung zu sein, in Beziehung zur Transzendenz und in Beziehung zu dem Boden, auf dem ich stehe, zu mir selbst und zu den Menschen, die sich neben mich stellen, um mir zu begegnen und in der Begegnung ihren eigenen Stand zu finden.

Welche Sicherheit bietet der Glaube?

Glaube hat verschiedene Aspekte. Einmal sind wir in ein Glaubenssystem hineingewachsen, das nicht nur durch die Dogmatik der Kirche geprägt ist, sondern durch den gelebten Glauben unserer Vorfahren. In dieser Glaubenstradition haben wir eine gewisse Sicherheit mitbekommen. Diese Tradition ist schon eine gebündelte Form der Antworten auf Fragen, die Menschen immer gestellt haben. Sie zeigt uns, wie wir auf die Herausforderungen des Lebens reagieren können, auf Krankheit und Leid, auf Enttäuschung und Scheitern, auf Konflikte und Unsicherheit, auf die Erwartungen von außen und von innen. Dieser Glaube prägt unser Denken und Fühlen von innen her. Aber er ist wenig reflektiert.

Wenn wir selber zu denken anfangen, stellen wir dieses uns überlieferte Glaubenssys­tem in Frage. Aber wir dürfen es nicht geringschätzen. Unsere eigenen Wurzeln gründen im Humus dieser Tradition und geben uns Halt. In jedem Leben kommt aber ein Punkt, an dem wir uns erst einmal von dem abwenden, was wir mitbekommen haben.

Und das ist nicht falsch: Wir sollen es kritisch hinterfragen. Aber nach diesem Hinterfragen sollen wir auch prüfen, was in dem Überlieferten an Gutem war und wie weit es uns heute – auf bewusste Weise gelebt – Halt zu geben vermag.

Ein anderer Aspekt liegt darin: Der Glaube deutet unsere Wirklichkeit. Er ist keine letzte absolute Gewissheit und bietet keine letzte absolute Sicherheit. Es gibt keinen Glauben ohne Zweifel. Aber es gibt auch keinen Nicht-Glauben ohne Zweifel. Die Frage ist, ob dieser Glaube der Wirklichkeit entspricht oder nicht. Wir können die Deutungsmuster anschauen, mit denen Nicht-Glaubende die Wirklichkeit interpretieren. Entspricht das mehr der Wirklichkeit als die Deutung des Glaubens?

Für mich ist es eine Hilfe, die Alternative des Nicht-Glaubens zu Ende zu denken: „Alles ist Einbildung.Wir können nichts wissen.“ Wenn ich diese Alternative zu Ende denke, dann steigt in mir eine tiefe Gewissheit auf: Die Deutung des Glaubens stimmt. Und es reift in mir der Entschluss: „Ich setze auf die Karte des Glaubens. Ich entscheide mich für den Glauben.“ Wir können den Glauben nicht letztlich beweisen. Aber er ist trotzdem vernünftig. Und es ist nicht gegen meinen Verstand, wenn ich auf die Karte des Glaubens setze. Jedoch braucht es immer auch den Sprung in den Glauben, es braucht Vertrauen und Entscheidung.

Ein weiterer Aspekt des Glaubens zielt nicht auf das Wissen und die Deutung, sondern auf die Haltung. Ich glaube jemandem. Glaube ist Vertrauen auf eine Person. Auch wenn dieses Vertrauen letztlich Gott als den eigentlichen Halt unseres Lebens meint – es ist für viele noch nicht möglich, Gott zu vertrauen, der ihnen so weit weg erscheint. Und dennoch fühlen sie sich irgendwie getragen.

Dietrich Bonhoeffer hat in seinem berühmten Gedicht kurz vor seiner Ermordung im KZ von den guten Mächten gesprochen, die uns tragen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Diese Worte können auch Menschen für sich in Anspruch nehmen, die sich schwer tun, Gott als den Grund ihres Vertrauens zu erkennen.

Das Buch

Bei diesem Beitrag handelt es sich um Auszüge aus dem Kapitel „Worauf kann ich mich verlassen? Macht Glauben Sinn“ aus Anselm Grüns Buch der Antworten. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags Herder.

Anselm Grün, Anselm Grüns Buch der Antworten“. 2021, gebunden mit Schutzumschlag, 304 Seiten, ISBN: 978-3-451-00858-0, erhältlich in allen Buchhandlungen.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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