Schulamtsleiter Dr. Michal im Interview:
„Im Religionsunterricht das gelebte Evangelium sichtbar machen“

MMMag. Dr. Benedikt J. Michal | Foto: Pressestelle der Diözese St. Pölten
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50 Jahre nach Gründung des diözesanen Schulamtes steht der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen. Im Interview zum Jubiläum stand uns Schulamtsleiter MMMag. Dr. Benedikt J. Michal Rede und Antwort zu vielen Fragen: dem Religionslehrermangel und wie die Politik hier helfen kann; ob der Ethikunterricht sich als Konkurrenz zum Religionsunterricht erweist; wir sprachen über den Erfolg katholischer Privatschulen und darüber, was ein/e perfekte/r Religionslehrerin/Religionslehrer mitbringen muss und über den fehlenden Glauben vieler junger Menschen heute. Und wir wollten wisssen, wie die Zukunft des diözesanen Schulamtes, das mit 1. September in „Ressort Schulamt“ umbenannt wurde, aussieht.

Das diözesane Schulamt wurde vor 50 Jahren gegründet. Warum war das notwendig, es gab davor ja auch schon Religionsunterricht und es gab auch ein Schulreferat?

Dr. Benedikt J. Michal: Der Anlass war die Diözesansynode 1972, bei der die ver­schie­dens­ten Bereiche, in denen Kirche in dieser Welt tätig ist, diskutiert wurden. Eine der Konsequenzen war die Gründung des Schulamts als kirchliche Oberbehörde. Man wollte damit auch den gesetzlichen Bestimmungen, die in der Nachkriegszeit erlassen wurden, Rechnung tragen. Das Schulamt ist ja eine sogenannte „gemischte Angelegenheit“, das eine Funktion im Dienste des Staates erfüllt und gleichzeitig im Auftrag der Kirche steht. Das ist das Spannungsfeld, das unsere Tätigkeit – sowohl im Religionsunterricht als auch in der Verwaltung des Religionsunterrichts – bis heute prägt.

Hat sich damit der Religionsunterricht ver­ändert?

Michal: Ich würde sagen, nicht gleich, sondern schrittweise. Am deutlichsten sichtbar wurde das in der stark gestiegenen Zahl der Laien, die Religion unterrichten. Heute steht nur mehr ein Bruchteil von Klerikern in der Klasse, obwohl diese Zahl heuer im Vergleich zum Vorjahr erstmals leicht auf 40 unterrichtende Priester gestiegen ist und das ist auch begrüßenswert. Wegen des Religionslehrermangels weisen wir die Priester schon darauf hin, dass es in ihrem Pfarrgebiet keinen Religionsunterricht mehr gibt, wenn sie nicht selber in die Klasse gehen. Und das ist ein Vorteil, wenn der Priester in der Klasse steht, denn dadurch kann die Pfarre auch ihr Netzwerk vor Ort und in der Schule stärken.

Wie viele Religionslehrer fehlen aktuell in der Diözese St. Pölten?

Michal: In Österreich gibt es nur drei Diözesen, die alle Stellen besetzt haben. Eine davon ist die Diözese St. Pölten. Jedes Jahr gehen 20 bis 25 Religionslehrer in Pension, die zumeist Vollzeit unterrichtet haben. Nachkommende Lehrkräfte unterrichten wegen der neuen Ausbildung oft nur wenige Stunden Religion. Der Lehrermangel ist nicht nur religionsspezifisch, er betrifft andere Fächer genauso. Das erzeugt zusätzlich Druck, weil Religionslehrer auch in ihren anderen Fächern gebraucht werden.

Sucht man Lösungen für diesen Mangel des Lehrpersonals?

Michal: In der österreichweiten Schulamtsleiterkonferenz sind wir sehr bemüht, verschiedene Antwortmöglichkeiten zu finden. Wir haben gerade für die KPH Wien/Krems ein neues Curriculum verabschiedet, wo es darum geht, dass erfahrene Lehrkräfte zusätzlich diese Ausbildung zum Religionslehrer machen können. Wir versuchen, neue Ausbildungswege zu erschließen und wir werden sicherlich weitere Ideen haben müssen, auch bezüglich der Positionierung des Religionsunterrichts. Wichtig ist auch die Nähe zwischen Pfarre und Schule, gerade in der Volksschule in Bezug auf die Erstkommunion.

Kann die Politik da helfen, neue Religions­lehrer zu finden?

Michal: Absolut, denn wir sind sehr stark von staatlichen Vorgaben abhängig, etwa in der Ausbildung. Da sind wir dankbar, dass die PädagogInnenbildung neu evaluiert wird, denn ich glaube, dass eine Ausbildung im Umfang von derzeit sechs Jahren zu lange dauert. Es stellt sich auch die Frage, ob jede Lehrkraft eine Masterarbeit schreiben muss. Religionslehrer müssen gute Stunden vorbereiten können. Die Akademisierung ist nicht immer hilfreich, weil sie oft zu wenig praxisnah ist.

Wo gibt es Religionslehrermangel? Kann man das regional eingrenzen?

Michal: Nein. Im Waldviertel haben wir viele kleine Schulen. Hier müssen wir Lehrkräfte qualifizieren, dass sie zusätzlich auch einige Stunden Religion unterrichten. Im Mostviertel hingegen gibt es große Ballungsräume, wo es oftmals um größere Stundenpakete geht. Wir können allgemein keinen großen Trend erkennen. Wir können nur sagen, dass es je nach Altersstruktur der eingesetzten Lehrer da oder dort Handlungsbedarf gibt und geben wird.

Vor 50 Jahren wurde den Schülern im Rahmen des Religionsunterrichts kostenlos eine Bibel ausgeteilt. Wäre das heute eine Option?

Michal: In der Schulbuchaktion ist es möglich, eine Bibel zu bestellen. Ich denke, dass es zu einfach wäre, wenn man den Menschen einfach nur das Evangelium in die Hand drückt. Man muss im Religionsunterricht das gelebte Evangelium sichtbar machen. Wichtig ist, dass die Schüler einen persönlichen Zugang zur Bibel finden. Hier kann man auch die Bibel am Handy nutzen, das die Schüler immer dabei haben.

Heute gibt es ja auch häufig die Kritik, dass im Religionsunterricht vieles weitergegeben wird, aber nicht immer der Glaube. Wie sehen Sie das?

Michal: Ich würde vor einer Überforderung des Religionsunterrichts warnen. Ich habe das in der Praxis als Religionslehrer ja selber erlebt: Man hat maximal zwei Unterrichtsstunden, wo man etwas einzubringen hat. Wenn es aber von der Familie aus eine Abwehrhaltung gibt, dann kann man als Lehrer machen, was man will, aber man kann als Lehrer nicht gegen die familiäre Prägung arbeiten. Das ist ja auch nicht die Aufgabe der Schule. Von der katholischen Soziallehre her ist die Schule die Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehung und nicht die Gegnerschaft. Da gibt es einfach eine natürliche Grenze, was Eltern zulassen und was möglich ist. Schule steht nicht über den Eltern, sondern sie soll die Eltern in ihrer Erziehungsarbeit unterstützen.

Es scheint immer häufiger zu werden, dass der Glaube zu Hause nicht mehr weitergegeben wird. Mit welcher Sorge sehen Sie das als Schulamtsdirektor?

Michal: Das sehe ich mit großer Sorge. Einerseits kann man schon sagen, dass das Glaubenswissen fehlt, so wissen heute viele Jugendliche mit Glaubensformeln wie „Jesus ist am dritten Tage auferstanden“ nichts anzufangen. Mit dem Nichtwissen gehen aber auch Vorurteile verloren. Ich habe z. B. in einer Schule in einem städtischen Milieu Religion unterrichtet. Da ging es in einer Unterrichtsstunde gemäß Lehrplan um den Rosenkranz. Die Schüler wussten nichts darüber und kannten auch nicht das alte Vorurteil, wonach nur alte Frauen den Rosenkranz beten würden. Damit war es plötzlich möglich, über eine christliche Meditationspraxis zu sprechen. Es war dann sehr berührend, als mir ein Schüler, der aus einer nicht-gläubigen Familie kommt, am Ende des Schuljahres schrieb, dass das die wichtigste Stunde für ihn gewesen war, weil er nun jeden Tag den Rosenkranz bete. Dieses Nichtwissen ist also auch eine neue Chance. Ich finde es auch wichtig, dass wir gerade im Religionsunterricht nicht ins Jammern kommen, sondern dass wir erkennen, dass jede Zeit besondere Chancen der Verkündigung hat.

Im Schuljahr 2021/22 wurde der Ethikunterricht an allen Schulen verpflichtend eingeführt. Wie ist die Bilanz nach einem Jahr?

Michal: Bis jetzt kann man allgemein sagen, dass wir dadurch keine Einbrüche bei den Zahlen im Religionsunterricht haben, es aber schulabhängig ist. Für viele Religionslehrer ist der neu eingeführte Ethikunterricht eine neue Situation, weil bis jetzt die Freistunde die Konkurrenz zum Religionsunterricht war. Jetzt lautet die Entscheidungsfrage: Religionsstunde oder Ethikstunde? Hier wird es wohl sehr vom Lehrer abhängen, für wen bzw. für welches der beiden Fächer sich die Schüler entscheiden werden. Wir müssen auch den Ethikunterricht weiter entwickeln. Ich denke, dass Religion zwar Ethik enthält, aber mehr als Ethik ist, sozusagen „Ethik Plus“ ist. Religionsunterricht arbeitet transparent und macht klar, aus welcher Quelle ihre Ethik kommt. Beim Ethikunterricht sehe ich die Gefahr, dass persönliche Ansichten des Lehrers zum Maßstab des Ethikunterrichts werden können.

Die Lehrer im Ethikunterricht müssen doch auch einen Lehrplan einhalten.

Michal:
Es gibt einen Lehrplan mit Vorgaben. Die Frage, die sich stellt, ist aber: Wie ist das lebbar? Beim Ethikunterricht wollen die Schüler wissen, wie der Lehrer zu diesen oder jenen Punkten persönlich steht, wie er dieses oder jenes lebt. Ethik an sich ist nicht neutral und kommt zu widersprüchlichen Antworten. Auch beim Religionsunterricht muss ich als Lehrer damit rechnen, dass mich Schüler nach meiner Authentizität fragen werden, z. B. ob ich die Bibel ganz gelesen habe. Das persönliche Bekenntnis ist in Religion gefragt. Die persönliche Glaubwürdigkeit ist wesentlich.

Was muss ein Mensch mitbringen, der Religion unterrichten möchte?

Michal: Erstens muss eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus da sein. Zweitens muss man Kinder und Jugendliche gerne haben, ansonsten ist man als Lehrer fehl am Platz. Und man muss auch wissen, mit welcher Altersstufe man gut zusammenarbeiten kann. Die einen können gut mit Pubertierenden, die anderen mit Kindern in der Volksschule.

Warum sind katholische Privatschulen so erfolgreich?

Michal: Das katholische Privatschulwesen hat eine Zukunft, weil es um die Verbindung von Glauben und Leben geht. Die christliche Grundhaltung wird in allen Fächern und im Umgang mit den Schülern deutlich. Wir haben in der Diözese mit dem Stiftsgymnasium Melk die älteste katholische Privatschule Österreichs, wo wir auf über 800 Jahre zurückschauen. Hier werden Generationen aus dem christlichen Glauben heraus geprägt. Bildung ist einer der kirchlichen Grundaufträge und das hat uns als Kirche von Anfang an begleitet. Wissenschaftsfeindlichkeit stimmt mit der Kirche nicht überein. Wir stehen dafür ein, dass wir in aller Freiheit die Wahrheit suchen. Das Schulamt ist für insgesamt 565 Religionslehrer zuständig, zudem für 702 Lehrkräfte an den katholischen Privatschulen in der Diözese.

Wie sieht die Zukunft des Diözesanschulamts aus?

Michal: Bischof Alois Schwarz führt einen richtungsweisenden Zukunftsprozess in der Diözese durch, der auch uns im Schulamt betrifft. Wir heißen ab 1. September „Ressort Schulamt“. Damit werden wir in die Diözese mit ihren unterschiedlichen Ressorts eingebettet. Wir müssen inhaltlich z. B. stärker in die Frage der Medienpädagogik gehen: Wie können wir unseren Glauben kommunizieren und vermitteln? Es geht also einerseits um die Schaffung niederschwelliger Angebote, andererseits brauchen wir auch Leute, die den Glauben so vertieft haben, dass sie ihn weitergeben können. Das Thema der Jüngerschaft ist ein ganz starkes, auch die Verankerung von Jüngerschaftsschulen in der Diözese. Wenn ich Jüngerschaft lebe, bin ich auch in der Lage, andere in die Jüngerschaft zu führen und somit Religion zu unterrichten. Interview: Sonja Planitzer und Markus Winzer

MMMag. Dr. Benedikt J. Michal | Foto: Pressestelle der Diözese St. Pölten
Dr. Michal im Interview mit Kirche bunt-Chefredakteurin Sonja Planitzer | Foto: Markus Winzer
Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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