Familie
Als alternder Mensch: krank, teuer, aktiv, lernend

Foto: amriphoto.com / Adobe

Welche Bilder wir vom Altern in uns tragen, hat großen Einfluss auf den einzelnen Menschen wie auch auf die Gesellschaft. Altersforscherin Vera Gallistl über eine „neue Kultur des Alterns“.

Die steigende Zahl älterer Menschen in unserer Gesellschaft ist nicht nur ein Problem oder eine Belastung“, betont Vera Gallistl, „obwohl es bei den Themen Pflege oder Pensionen oft so dargestellt wird.“ Vera Gallistl ist Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl-Landsteiner-Universität in Krems und beschäftigt sich u. a. damit, auf welche Weise Zuschreibungen wie „Risikogruppe“ in der Corona-Pandemie wirkten oder auch wie „Altersbilder“ einzelne Menschen, die Gesellschaft und Politik beeinflussen.
Mit steigender Lebenserwartung wurde die Zeit ab der Pensionierung zu einer immer längeren Lebensphase, die es zu gestalten gilt. Vom Lebensabend zu sprechen, greife bei einer Zeitspanne von 20 oder 25 Jahren zu kurz, so Gallistl. Sie sieht in dieser Lebensphase viele Parallelen zur Jugend: Welche Ziele setze ich mir außerhalb des Erwerbslebens? Wo kann ich Sinn finden?
Wie wir uns im Alter sehen, welche Bilder wir mit dem Altern verbinden, all das ist nicht naturgegeben oder zwangsläufig für jeden gleich. Es gibt in jeder Gesellschaft eine Vielzahl von Ansichten über das Alter: in der Arbeitswelt z. B. das Bild vom teuren, nicht flexiblen Mitarbeiter, in den Medien das Bild vom aktiven oder vom digital nicht-kompetenten Senior, in der Pflege das Bild vom „Pflegefall“. „Während früher v. a. die Defizite gesehen wurden, entstand in den 90-er Jahren das Modell vom aktiven und produktiven Alter“, erklärt Vera Gallistl. „Dadurch verschwand das Alter fast bzw. wurde auf die vierte Lebensphase der Pflegebedürftigkeit verschoben.“

„Negative Bilder über das Altern sind weit verbreitet.“

Franz Kolland, Leiter des Kompetenzzentrums, spricht von einer „neuen Kultur des Alterns“, in der Altern als lebenslanger Lernprozess begriffen wird. Das Individuum sucht Wege, wie es gut mit Herausforderungen umgehen kann, die Gesellschaft fragt sich, welche Angebote sie für eine positive Lebensgestaltung setzen kann. „Gerade im Übergang vom Erwerbsleben zum Ruhestand gibt es noch zu wenige Hilfsangebote“, meint Vera Gallistl, „hier werden alle Herausforderungen dem Einzelnen überlassen.“ Laut einer Studie meinen 71 Prozent der Befragten, dass ältere Menschen ausgegrenzt werden. „Überhaupt sind negative Bilder über das Altern weit verbreitet“, betont die Soziologin.
Insbesondere Lernen sieht sie als sinnvolle Aufgabe für alle Lebensphasen: lernend auf die Herausforderungen des Lebens zu reagieren. Ältere Menschen sind etwa dazu aufgefordert, sich digitale Kompetenzen anzueignen, weil die Nutzung neuer Medien die soziale Teilhabe über Distanzen hinweg ermöglicht. Dazu braucht es Institutionen, die Bildungsangebote für alle Lebensalter unterbreiten.
Auch in der Arbeitswelt geht es einerseits um die Eigenverantwortung, Angebote zur beruflichen Weiterbildung und zur Gesundheitserhaltung zu nutzen. Andererseits braucht es von außen den Blick auf die Erfahrung und Kompetenz der Älteren.
In einer alternden Gesellschaft fallen den Gemeinden besondere Aufgabe zu, weil Solidarität über die Familien hinausgehen muss. „Es gilt daher, älteren Menschen neue Wege für Selbst- und Mitverantwortung in der Zivilgesellschaft zu ebnen“, so heißt es auch im Altersbericht des deutschen Familienministeriums.

Studientagung „Trauer im Alter“
Über „Trauer in einer neuen Kultur des Alter(n)s“ wird Dr. Vera Gallistl bei der Studientagung „Trauer im Alter. Umgang mit Abschieden und Verlusten beim Älterwerden“ im Bildungszentrum St. Benedikt in Seitenstetten sprechen.
Nähere Infos: Info: Gerti Ziselsberger, Tel. 0676/83 844 7373, www.trauer-info.at.
29. 4., 9.30 – 16.30 Uhr

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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