750. Todestag des heiligen Thomas von Aquin
„Was ist Wahrheit?“

Thomas von Aquin (postumes Gemälde von Carlo Crivelli, 1476) starb vor 750 Jahren am 7. März 1274. | Foto: Foto: Gemeinfrei
  • Thomas von Aquin (postumes Gemälde von Carlo Crivelli, 1476) starb vor 750 Jahren am 7. März 1274.
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Thomas von Aquin gilt als bedeutendster Theologe und Philosoph des Mittelalters, als Klassiker abendländischen Denkens. Er starb vor 750 Jahren – am 7. März 1274. Dass seine Werke in der noch unvollendeten deutschen Gesamtausgabe 32 dicke Schmöker umfassen, schreckt freilich ab. Genau wie die Mischung aus existenziellen Fragen und ziemlich skurrilen Problemen, mit denen er sich befasst.

Was sind denn das für Fragen: „Was ist Wahrheit?“ – „Besitzt der Mensch freie Entscheidung?“ – „Ist die Seele gemacht oder stammt sie von der Substanz Gottes selbst?“ – „Ist ein bestimmter räumlicher Abstand erforderlich, damit ein Engel zu den anderen sprechen könne?“ Leute, die Thomas von Aquin gut kennen, berichten, was auf den ersten Blick wie Haarspalterei aussehe, offenbare bei näherer Betrachtung eine großartige geistige Klarheit.

In der Tat enthält das längst vom Thron gestürzte gewaltige System des Theologenfürsten Thomas noch immer funkelnde Juwelen. „Moderne Christen“ beschränken sich gern auf halbe Sachen und nennen Toleranz, was vielleicht eher Bequemlichkeit oder Feigheit ist: „Irgendwie hat jeder Recht.“ Da ist es erfrischend, wenn einer wie Thomas hartnäckig fragt: „Was ist Wahrheit?“

Bettelorden statt Karriere

Seine voluminösen Abhandlungen über Geist und Materie, Schöpfung und Erlösung, Gott und die Welt muss Thomas wie im Rausch niedergeschrieben haben. Man hat ausgerechnet, dass er als Professor in Paris jeden Tag im Schnitt zwölfeinhalb engbedruckte DIN-A-4-Seiten produziert hat. Und es ist glaubwürdig überliefert, dass er zeitweise vier Sekretären gleichzeitig vier Buchmanuskripte diktierte. Als hätte er gewusst, dass ihm nur eine relativ kurze Lebenszeit beschieden war: 49 Jahre, von 1225 bis 1274.

Das war das Jahrhundert der Kathedralen und der theologischen Summen. Überall Konflikte und kriegerische Verwicklungen, ein rauflustiges, aggressives Klima auch an den eben erst gegründeten Universitäten. Thomas wurde auf der Burg Roccasecca bei Aquino zwischen Rom und Neapel geboren. Seine herzoglichen Eltern steckten den Sechsjährigen in das ehrwürdige Kloster Montecassino, wo man ihn später – so der Wunsch – ganz sicher zum Abt machen würde. Doch das Kloster geriet in die Kämpfe zwischen Kaiser und Papst hinein, und Thomas wurde vorsichtshalber an die Universität Neapel geschickt.

„Wenn wir die Probleme des Glaubens nur auf dem Wege der Autorität lösen, werden wir gewiss die Wahrheit besitzen, aber in einem leeren Kopf!“

Das war eine staatliche, keine päpstliche Universität mit einem ziemlich liberalen Lehrpersonal. Thomas lernte hier zum ersten Mal die arabischen und jüdischen Übersetzungen der großen griechischen Philosophen kennen, die man damals auf breiter Front wiederentdeckte. Ein spannender Dialog zwischen den klugen alten Heiden und aufgeschlossenen christlichen Theologen entwickelte sich, welcher der kirchlichen Obrigkeit nicht immer gefiel. Und eine zweite Entdeckung machte der junge Adelige aus Aquino: Statt seine Karriere bei den Benediktinern voranzutreiben, begeisterte er sich für den Bettelorden der Dominikaner. Der schickte seine Leute auf Wanderschaft durch die Lande und in die großen Städte, wo sie durch ein schlichtes Leben und durch geschliffene Predigten überzeugen sollten.

Ein Bär von einem Mann ist er gewesen, von hünenhafter Gestalt und gewaltigem Umfang und schwerfällig in seinen Bewegungen. Den „stummen Ochsen“ hatten ihn seine Mitstudenten in Neapel genannt, weil er ihren Diskussionen in der Regel schweigend folgte, um sich dann plötzlich an den Professor zu wenden und ihn wie abwesend, mit gerunzelter Stirn, zu fragen: „Was ist Gott?“

Thomas zog nach Paris ins Quartier latin und erwarb sich in diesem Zentrum der akademischen Welt Europas schnell einen hervorragenden Ruf, stritt vornehm im Ton, aber leidenschaftlich in der Sache mit seinen Kollegen – und fand in seinem Ordensbruder Albertus Magnus den Lehrer seines Lebens. Mit ihm zusammen wechselte er an die Dominikanerhochschule im vergleichsweise liberalen Köln, wo es für das Studium von Aristoteles und das Gespräch mit den arabischen Weltbildern weniger Hürden gab als in Paris.

Die erste Ursache von allem

In den nächsten Jahren schuf Thomas aus dem klassischen christlichen Ideengut – mit Augustinus an erster Stelle – und zeitgenössischen philosophischen Ansätzen eine monumentale Synthese, die für Jahrhunderte die europäische Theologie prägen sollte. Wie sein Lehrer Albertus kannte Thomas keine Berührungsängste gegenüber Philosophen aus der heidnischen Antike und aus dem zeitgenössischen Islam: Von Aristoteles übernahm er die Orientierung am Naturrecht und die Anerkennung der Eigengesetzlichkeit der Naturvorgänge. Weil alles Seiende in der Welt seine Existenz „durch Teilhabe“ besitze, also auf einen Ursprung verweise, vertrat er die Möglichkeit einer natürlichen Erkenntnis Gottes. Die „erste Ursache“ von allem nannte er ihn.

Als Thomas von Köln nach Paris zurückkehrte, hatten die Universitätsgremien zwar mittlerweile das Studium des Aristoteles zugelassen. Aber es knirschte gewaltig zwischen den Professoren aus dem städtischen Klerus und den Lehrstuhlinhabern aus dem modernen Dominikanerorden. Der Papst höchstpersönlich musste ein Machtwort sprechen und König Ludwig IX. schickte über Wochen hinweg Soldaten, um Thomas seine Vorlesungen zu ermöglichen.

Wie christlicher Glaube sein muss

Als Magister theologiae legte Thomas die Heilige Schrift aus, brachte den Studenten die klassisch gewordenen Sentenzenbücher des 1160 gestorbenen Italieners Petrus Lombardus nahe – eine Sammlung von Kirchenvätertexten zu allen möglichen Glaubensfragen – und schrieb so nebenbei eine „Summa contra gentiles“, ein philosophisch-theologisches Handbuch „gegen die Heiden“. Es enthält erstaunlich wenig Polemik. Von Anfang an stellte er klar, dass der christliche Glaube durchdacht, abgewogen, geprüft und begründet sein müsse und nicht einfach per Dogma befohlen werden dürfe. Thomas: „Wenn wir die Probleme des Glaubens nur auf dem Wege der Autorität lösen, werden wir gewiss die Wahrheit besitzen, aber in einem leeren Kopf!“

Fast ein Jahrzehnt schrieb Thomas an seinem riesenhaften Hauptwerk, der „Summa theologiae“, die er bescheiden als Lehrbuch für Studienanfänger bezeichnete. Die „Summa“ umfasst zwei Millionen Wörter und blieb unvollendet. Die Textstruktur bildet getreu den Lehrbetrieb an den mittelalterlichen Universitäten ab, wie er noch zu Luthers Zeiten üblich war: Am Anfang jedes Kapitels steht die zu untersuchende Streitfrage, zum Beispiel „Gibt es einen Gott?“ Dann werden unter der Überschrift „videtur quod non“, „es scheint, dass nicht“ zunächst die logischen Gründe vorgebracht, die dagegen zu sprechen scheinen. Unter dem Titel „sed contra“, „andererseits jedoch“ folgen die Antworten der Heiligen Schrift beziehungsweise der kirchlichen Tradition. Und dann der Hauptteil mit der angebotenen Problemlösung.

Zumindest das Staunen lässt sich von Thomas lernen, das aufmerksame Hinhören, die Freude am Denken.

So zwischendurch wirkte Thomas an der Ausbildung des Ordensnachwuchses in Orvieto und Neapel mit. 1274 holte ihn der Papst nach Lyon, wo ein hochkarätig besetztes Konzil die Risse zwischen Ost- und Westkirche kitten sollte. Auf der Reise dorthin starb er in der Zisterzienserabtei Fossanova. 1323 erhob Papst Johannes XXII. den Dominikaner, den man längst „Doctor universalis“ nannte, zur Ehre der Altäre – nachdem Pariser Erzbischöfe und römische Behörden etliche Sätze aus seinen Büchern mehrfach als Ketzerei verurteilt hatten, was aber bei der Fülle seiner Werke nicht so ins Gewicht fiel.

Heute räumen selbst sehr konservative Theologen ein, dass Thomas ein schwieriges Latein schreibt und seine Begriffswelt missverständlich ist. Aber soll man wirklich achtlos beiseite legen, was kluge Geister jahrhundertelang beschäftigt, zum Nachdenken gebracht und zu scharfsinnigen Diskussionen beflügelt hat? Zumindest das Staunen lässt sich von Thomas lernen, das aufmerksame Hinhören, die Freude am Denken. Vielleicht auch die Lust auf eine intelligente Religion, die sich ihre Träume und Sehnsüchte nicht austreiben lässt.

Leute wie die damals sehr aktiven Katharer, die dieses Fleisch verachteten und von der Reinheit des befreiten Geistes schwärmten, waren ihm herzlich unsympathisch: „Sie erinnern sich nicht daran, dass sie Menschen sind.“ – „Wer die Geschöpfe herabsetzt, der setzt die Macht des göttlichen Schöpfers herab.“ – „Wir müssen unseren Körper mit der gleichen Liebe lieben, mit der wir Gott lieben.“ Ohne seinen Körper, ohne seine Sinne sei der Mensch kein Mensch, stellt Thomas wiederholt klar, und gegen Schwermut empfiehlt er keine Gebete, sondern ausreichend Schlaf, gute Freunde und – vermutlich augenzwinkernd –: „Wenn einer sich so sehr des Weines enthielte, dass er dadurch seine Gesundheit schwer belasten würde, so wäre er von Sünde nicht frei.“

Auch solche Eingebungen finden sich in der großartigen „Summa theologiae“. Und dass ein „tüchtiges, gutes Leben“ mehr wert sei als die Gabe, Wunder zu wirken. Und dass die Sexualität etwas Kostbares sei, weil Gott nicht nur den Geist geschaffen habe, sondern auch den Körper.

Christian Feldmann

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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