Die Orgel
Königin und Magd

Spätbarocke Orgel von Franz Xaver Christoph (1775) in der Wallfahrtsbasilika Sonntagberg. | Foto: Ferdinand Bertl
  • Spätbarocke Orgel von Franz Xaver Christoph (1775) in der Wallfahrtsbasilika Sonntagberg.
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Jahrhunderte hindurch war die Orgel im christlichen Gottesdienst nicht willkommen. Doch gerade ihr Einsatz in der Liturgie machte sie zur „Königin der Instrumente“.

Prächtig dekoriert die Westansicht unserer Kirchenräume prägend, mit rauschenden Akkorden Klangmarken in unseren Gottesdiensten setzend; so erleben wir das größte Musikinstrument in der kirchlichen Praxis. Grund genug für viele Bundesländerorganisationen des deutschen Musikrates, die Orgel heuer als Instrument des Jahres in den Blickpunkt einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken, Grund auch für uns, ein wenig hinter ihre Kulissen zu blicken. Sind es in den Medien eher die Superlative, die sich bei Riesenorgeln wirksam präsentieren lassen, Zahlen von Pfeifen, Registern und Längenangaben, drücken Pfarrverantwortliche bisweilen Sorgen um die Finanzierung der laufenden Instandhaltung und Prob­leme, für alle liturgischen Feiern Musikbegeisterte zu finden, die ihre Kunstfertigkeit in den Dienst der Liturgie stellen.

König und Magd vereint im Lobpreis Gottes

Diese Spannung zwischen der von Wolfgang Amadeus Mozart der Orgel konzedierten Stellung über allen anderen Instrumenten und ihrer edelsten Aufgabe, sich der Liturgie unterzuordnen und ihr zu dienen, ist für mich der Ausgangspunkt für die Annäherung an das Thema „Orgel“. Besonders augenfällig kommt dieser Gedanke an unserer Domorgel zum Ausdruck: Während der Blick aus dem Kirchenschiff vom Harfe spielenden König David dominiert wird, sitzt emporenseitig eine Skulptur der Gottesmutter am Orgelgehäuse und erinnert an die Magd des Herrn, die im „Magnificat“ die Melodie ihres Lebens gefunden hat.

Besonders die ersten Jahrhunderte der Entstehungsgeschichte der Orgel lassen es als ein Wunder erscheinen, dass sie seit dem Hochmittelalter das Instrument der katholischen und später auch der reformierten Liturgie geworden ist. Ihre ersten Spuren gehen auf die griechische Antike zurück: Ktesibios von Alexandrien erfand im dritten Jahrhundert vor Christus eine Apparatur, mit der er nach dem Prinzip der Panflöte jeweils eine Pfeife pro Tonhöhe handgesteuert anblasen lassen konnte. Für die Erzeugung des Luftstromes verwendete er den Blasebalg der Schmiede und für dessen Regulierung ein Becken mit Wasser.

In den römischen Zirkusbauten beschallte diese Hydraulis (Wasserorgel) Großveranstaltungen, bei denen viele frühchristliche Märtyrerinnen und Mär­tyrer ihr Leben ließen. Verständlich, dass die junge Kirche, nach der konstantinischen Wende zur offiziellen Staatsreligion geworden, von diesem Instrument für ein paar Jahrhunderte nichts wissen wollte. Im oströmischen Reich weiter kultiviert, überbrachte eine diplomatische Gesandtschaft aus Konstantinopel als Gastgeschenk eine tragbare Orgel an den fränkischen Hof, wo das Instrument in der Liturgie eingesetzt wurde und von wo es sich, im Lauf der Zeit weiter technisch vervollkommnet, über ganz Europa verbreitete. Aus dem antiken Saulus war ein mittelalterlicher Paulus geworden.

Die Vielfalt ihrer
äußeren Erscheinung und die Harmonie ihres Zusammenklangs lässt die Orgel als Vorbild für die Kirche erscheinen.

Im Herzen Europas traf die Orgel auf die Musizierpraxis des Gregoria­nischen Chorals: einstimmiger unbegleiteter Gesang, der, den schriftlichen Quellen nach zu urteilen, von außer­gewöhnlicher rhythmischer Feinheit und melodischer Komplexität gewesen sein muss. Bald schon durfte die Zugewanderte einzelne Teile Grego­rianischer Gesänge ersetzen: Textabschnitte, die mehrmals zu singen waren, wie im Kyrie oder einzelne Strophen von Hymnen des Chorgebetes.

Es zeigte sich, dass ihr Klang durch erfindungsreiche Weiterentwicklung den Sängeratem an Dauer und die Stimmbänder an Höhe und Tiefe übertreffen konnte. Mit ihr konnte Gott länger, lauter, höher und tiefer besungen werden: Obwohl ein Ton von ihr einen Schlag mit der ganzen Faust erforderte (woher der Begriff „die Orgel schlagen“ kommt), wurde ihre Integ­ration zur Erfolgsgeschichte: Psalmen erklangen von nun an im Wechsel zwischen gesungenen und gespielten Versen, Ordinariumsgesänge wurden zwischen Sängern und Organisten aufgeteilt und Propriumsteile instrumental eingeleitet. Schon damals war liturgische Instrumentalmusik selten durch Noten fixiert, viel häufiger wurde sie im Moment ihres Erklingens erfunden – improvisiert.

Die größeren Instrumente waren anfangs wie Schwalbennester an den Innenmauern der mittelalterlichen Kirchen angebracht, gemeinsames Singen und Spielen dadurch nur abwechselnd möglich. Kleinere Exemplare von Orgeln standen aber auch in Al­tarnähe und sollten bei der Entwicklung der abendländischen Mehrstimmigkeit eine wichtige Rolle spielen. Wenn in jüngster Zeit die Orgel „pandemiebedingt“ zu singende Liturgie­abschnitte instrumental ersetzt hat, ist sie damit eigentlich zu ihren Anfängen zu­rückgekehrt.

Mit der Verbreitung deutscher Kirchenlieder und der technischen Vervollkommnung der Orgel zu einem mit den Fingern zu spielenden, die Mehrstimmigkeit bis hin zur Einbeziehung der Füße beherrschenden Instrument übernahm sie mehr und mehr die Rolle der Begleiterin des liturgischen Gesanges, die ganz nebenbei einstimmigen Melodien ein harmonisch-farbiges Gewand anlegt.

Komponierte Musik für Orgel geht seit der Barockzeit über die gottesdienstlichen Formen von Choralvorspielen und -partiten und Versetten zu Hymnen und zum Magnificat weit hinaus: Große Präludien und Fugen, mehrsätzige konzertante Werke und die an der orchestralen Symphonik orientierten Zyklen der Romantiker weisen den Weg zu Orgelkonzerten, die sowohl in Kirchen als auch in den großen Konzertsälen zu hören sind.

Fasziniert die technische Seite der Orgel – der Linzer Theologe Peter Paul Kaspar nannte sie sogar eine „heilige Maschine“ – durch eine Vielzahl an Teilen, die ineinandergreifen und zur rechten Zeit das richtige Ventil öffnen, lässt die klangliche durch besonders tiefe und außergewöhnlich hohe Töne aufhorchen. Die Länge der dafür notwendigen Pfeifen kann von über zehn Metern bis in den Zentimeterbereich variieren. Verschiedene Holzarten und Legierungen aus Zinn und Blei stehen als Material zur Verfügung. Die Vielfalt ihrer äußeren Erscheinung und die Harmonie ihres Zusammenklangs lässt die Orgel als Vorbild für die Kirche erscheinen: ein Klang aus vielen Pfeifen steht für den einen Leib aus vielen Gliedern.
Mag. Franz Reithner, Orgel- und Glockenreferent der Diözese St. Pölten

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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