Gesundheit
Aktiv gegen Depression

Foto: Leopold Schlager

Herbstblues, winterliche Dunkelheit und Corona-Krise können Spuren in der Psyche hinterlassen. „Es sind meist Kleinigkeiten, die gut tun und vorbeugend wirken“, erklärt Anna Entenfellner vom Psychosozialen Dienst (PSD) der Caritas.

Im Herbst und Winter nehmen depressive Verstimmungen zu. Hinterlässt die Corona-Pandemie ebenfalls Spuren in der Psyche?
Anna Entenfellner: Ja, sicher. Allerdings konnten wir im PSD beobachten, dass jene Kunden, die schon lange bei uns in Betreuung sind, viel besser durchgekommen sind, als wir zuvor angenommen hatten. Die meisten lebten schon vor Corona zurückgezogen und isoliert, das war also keine neue Herausforderung. Wir merken allerdings einen neuen Bedarf: Menschen, die vorher gerade so zurecht kamen, konnten in der Corona-Zeit ihre Probleme nicht mehr kompensieren.

Treten psychische Krankheiten zeitversetzt – also erst längere Zeit nach Krisen – auf?
Entenfellner: Ja, das stimmt. Wir sehen, dass mit der Dauer der Pandemie vermehrt psychische Krankheiten auftreten.

Was sind erste Anzeichen dafür, dass man psychisch krank sein könnte?
Entenfellner: Der Betroffene kommt zunächst meist gar nicht auf die Idee, dass er krank sein könnte. Man merkt zwar, dass man nicht gut drauf ist, schlecht schläft, sich vielleicht schlecht konzentrieren kann. Doch man denkt am Anfang, dass man selber etwas falsch gemacht hat. Meist merkt zuerst das Umfeld, dass etwas nicht stimmt: Man kommt z. B. an denjenigen nicht so richtig heran. Die ersten, die zum PSD kommen, sind meist die Ange­hörigen und nicht die Betroffenen.
Psychische Krankheiten lassen sich leider nicht im Labor oder mittels eines MRT feststellen. Es gibt das „Losigkeits-Syndrom“: Man fühlt sich freudlos, kraftlos, mutlos, appetitlos, schlaflos, interesselos, gefühllos. Anzeichen wie gedrückte Stimmung, reduzierter Antrieb, permanentes Grübeln, Konzentrationsstö­rung, Rückzug oder der gestörte Schlaf halten mindestens 14 Tage an. Diese Symptome entwickeln sich schleichend. Man wacht nicht plötzlich auf und stellt fest, depressiv zu sein.

Was kann man als Angehöriger tun?
Entenfellner: Der erste Schritt besteht darin, dass man seine Sorge äußert: „Ich merke, es geht dir nicht gut. Ich will dir nur sagen, ich bin da für dich.“ Außerdem kann man darauf hinweisen, dass es Hilfe gibt. Wichtig ist auch, den Betroffenen nicht unter Druck zu setzen, nach dem Motto: „Komm, reiß dich zusammen, wir gehen jetzt raus, es ist so schön draußen!“ Nicht fordern, sondern achtsam sein. Manchmal dauert es sehr lange, bis ein offenes Gespräch zustande kommt, da braucht es viel Geduld!

Über eine psychische Erkrankung spricht man ja nicht auf die gleiche Weise wie z. B. über einen gebrochenen Fuß …
Entenfellner: Das Thema ist in den letzten Jahren viel salonfähiger geworden, auch durch Prominente, die offen zu ihrer Erkranung stehen. Das Wissen um die Erkrankung ist weit verbreitet – allerdings hält die Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen, leider nicht Schritt damit. Das große, große Hindernis ist das Stigma: Die Betroffenen leiden stark unter Vorurteilen: dumm, faul, selber schuld, unberechenbar zu sein… Betroffene stehen außerdem vor dem Dilemma, ob sie die Krankheit ihrem Arbeitgeber mitteilen sollen oder nicht: Riskiere ich, den Job zu verlieren, oder überfordere ich mich permanent, um die Arbeit zu behalten?

Gibt es Hoffnung für depressive Menschen? Ist eine Depression heilbar?
Anna Entenfellner: In jedem Fall gilt: Eine Depression ist gut behandelbar! Jede Behandlung in der Psychiatrie stützt sich auf drei Säulen: Psychotherapie, Soziotherapie und Medikamente – in Abhängigkeit vom Schweregrad. Manche Patienten nehmen beispielsweise gar keine Medikamente und gehen nur zur Psychotherapie. Bei den Medikamenten gibt es solche, die gleich wirken – beispielsweise schlaffördernde Mittel –, während die Wirkung von Antidepressiva erst frühestens nach vier bis sechs Wochen einsetzt. Da muss man als Patient wirklich lange durchhalten, bis eine Besserung eintritt. Und dann weiß man immer noch nicht genau, ob dasjenige Medikament das richtige ist aus der breiten Palette an Möglichkeiten. Das ist oft eine monatelange Geduldprobe. Aber sehr viele Erkrankte, die gut eingestellt sind, haben eine gute Lebensqualität! Die Psyche heilt jedoch anders als die Körper, sie trägt oft eine tiefe Narbe davon, bleibt verletzlich.

Ist Psychotherapie für viele zu kostspielig?
Anna Entenfellner: Was es von den drei Säulen der Therapie am meisten braucht, ist immer die Psychotherapie – die Möglichkeit Probleme aufzuarbeiten, meine Lebensperspektive zu klären. Da braucht es die Medikamente manchmal schon lange nicht mehr. Jedoch sind bezahlte Kassenplätze nach wie vor kontingentiert. Wir vom PSD haben das Glück, dass wir in St. Pölten und in Amstetten von der Krankenkasse bezahlte Stunden anbieten dürfen. Wir würden das Angebot gerne flächendeckend ausweiten, denn der Bedarf ist bei Weitem nicht gedeckt. Die Kosten sind nämlich eine große Hürde für unsere Kunden.

Was kann man tun für die eigene psychische Gesundheit, gerade im Herbst und Winter?
Anna Entenfellner: Aktiv und in Bewegung bleiben, mich nach außen orientieren, in Kontakt bleiben, meine Energiequellen kennen und nützen, anderen helfen. Letztlich geht es darum, ob ich gut für mich selbst sorgen kann. Mir überlegen: Was tut mir gut? Was mache ich gern? Nur einmal am Tag Nachrichten schauen. Jetzt kommt der Advent – eine schöne, ritualisierte Zeit: hinsetzen, Kerze anzünden, Tee trinken, aus dem Fenster schauen. Das klingt so banal. Aber es sind meist Kleinigkeiten, die der Psyche gut tun und die vorbeugend für die psychische Gesundheit wirken.
Interview: Patricia Harant-Schagerl

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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