Ostersonntag | 17. April 2022
Kommentar

Gleiches anders sehen

Zwei Menschen erleben dieselbe Situation mit, nehmen sie aber komplett unterschiedlich wahr. Zwei Fußballfans haben das gleiche Spiel gesehen, können aber stundenlang diskutieren, wer die bessere Mannschaft war. Zwei Zeugen eines Unfalls machen völlig konträre Aussagen. Die Wahrnehmung eines Sachverhalts hängt immer auch vom Standpunkt der Betrachtenden ab, von ihrer persönlichen Geschichte und früheren Erfahrungen.

Am Ostermorgen sind es gleich drei Personen, die ein leeres Grab vorfinden. Alle drei sehen das Gleiche, ziehen aber ganz andere Schlüsse daraus. Auch hier hängt das sehr mit ihrer eigenen seelischen Verfassung und ihrer individuellen Geschichte mit Jesus zusammen. Eine Auferstehung sehen sie nicht, sondern nur einen weggerollten Grabstein und eine verlassene Höhle.

Maria aus Magdala ist ganz gefangen in ihrer Trauer, sie nimmt vor allem wahr, dass ihr geliebter Jesus weg ist. Simon Petrus kommt zum Grab mit der Last seiner Schuld. Er hat Jesus verleugnet und das letzte große Versprechen, das er ihm gegeben hat, gebrochen. Er sieht im Grab die Spuren seines Leidens, bei dem er Jesus im Stich gelassen hat. Der „andere“ Jünger, der schneller ist als Petrus – nicht nur beim Laufen, sondern auch beim Verstehen –, sieht das Gleiche ganz anders. Er hält einen Moment inne und – glaubt an die Auferstehung.

So erlebt auch jeder und jede von uns Tod und Trauer anders, geprägt von unserer je eigenen Lebens-, Leidens- und Glaubensgeschichte. Zu anderen Menschen werden wir, wenn es uns gelingt, darin Spuren der Auferstehung zu entdecken.

Alfred Jokesch

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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