Weltanschauungsarbeit heute | 18
Moderne „Gurus“

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Warum es entscheidend ist, wem wir unser Vertrauen schenken.

Das tiefe Bedürfnis nach Sinn und Zugehörigkeit sowie das Verlangen, verstanden zu werden, macht uns Menschen aus. Manchmal beginnt es mit einem Satz, der uns tief trifft, mit einer Stimme, die Ruhe ausstrahlt, mit einem Blick, der Zuversicht schenkt. Eine Person gibt vor, einen neuen Weg zu kennen, und andere folgen – oft blinder als beabsichtigt.
Guruismus nennt man das Phänomen, wenn spirituell Lehrende, Coaches oder InfluencerInnen zu Leitfiguren mit umfassendem Einfluss auf das gesamte Leben werden. Was zunächst Orientierung verspricht, kann in ein verstricktes Beziehungsgefüge münden. In der Beratung erzählen Angehörige dann von schleichenden, aber tiefgreifenden Veränderungen: Ein Vater ist überzeugt, dass „das System“ gezielt die Wahrheit unterdrücke. Die Tochter spricht plötzlich in Floskeln, die Verständigung verunmöglichen. Ein langjähriger Freund beendet den Kontakt, weil er sich von „negativen Energien“ fernhalten müsse. Wer Zweifel äußert, gilt als „noch nicht erwacht“.

In östlichen Traditionen ist der Guru ein religiöser Lehrer, der Weisheit und Vollkommenheit verkörpert. Der „Guru“ lebt, was er lehrt – und dient der Entwicklung seiner SchülerInnen. Aktuell erleben wir eine Renaissance des Guruismus. Westlich geprägte „Satsang“-Gruppen, in denen sich SchülerInnen mit ihren spirituellen Führungsfiguren treffen, erreichen mit ihren Ritualen und persönlicher Zuwendung auch hierzulande Suchende. Spirituelle Versprechen, emotionale Überwältigung und Gruppendruck können zu Grenzverletzungen bis hin zu finanzieller Ausbeutung, psychischer Abhängigkeit und sexuellem Missbrauch führen.

„Gurus“ wirken auch in kleinen Kreisen, auf YouTube oder in Seminarhäusern. Gerade in der Esoterik- und Coaching-Szene treten so manche charismatische Persönlichkeiten auf, die vorgeben, alles zu wissen und zu durchschauen. Kritik wird da als „Unreife“ abgetan.
Im christlichen Verständnis gehören Glaube und kritisches Denken zusammen. Suchen, Zweifeln und Scheitern sind nicht Ausdruck mangelnden Glaubens, sondern Teil lebendiger religiöser Entwicklung. Jede geistliche Autorität muss sich und ihre Lehre in Frage stellen lassen – und über sich hinausweisen: auf das immer größere Geheimnis der Liebe, das allem zugrunde liegt.

Die Echtheit spiritueller Tiefe erweist sich an der Zugewandtheit zur Welt und zu allen Menschen. Christlicher Glaube sucht nicht Gefolgschaft, sondern führt in die Freiheit – und ruft in die nicht delegierbare Verantwortung. Er wird lebendig, wo er gelebt und nicht nur behauptet wird: durch Personen, die Brücken bauen und die Verständigung zwischen Menschen fördern. Liebe und Wahrheit zeigen sich dort, wo Menschen konkret handeln – im Bemühen um eine gerechte Gesellschaft, im Mitgefühl für alle Lebewesen und in der Sorge um unseren Planeten Erde.

Eva-Maria Melk-Schmolly

Referat für Weltanschauungsfragen
Jede Diözese verfügt über ein Referat bzw. eine Fachstelle für Weltanschauungsfragen.
www.weltanschauungsfragen.at

Mein Beitrag

Eva-Maria Melk-Schmolly
ist Psychotherapeutin und Fachberaterin für Weltanschauungsfragen in der Diözese Feldkirch.

Woran erkenne ich problematische religiöse Angebote?
Wenn „Gurus“ ihre Macht missbrauchen, Menschen von ihrem bisherigen Leben entfremden und deren Entscheidungsfreiheit subtil manipulieren. Wachsam sollte man bei jenen feinen Grenzverschiebungen sein, wo Zugehörigkeit in Abhängigkeit kippt und Vertrauen in Vereinnahmung.

Können Vorbilder nicht auch etwas Wichtiges sein?
Unbedingt – gerade auch im religiösen Bereich. Entscheidend ist, dass sie Menschen in ihrer inneren Freiheit, Empathie und Beziehungsfähigkeit stärken.

Was zeichnet gesunde Religiosität aus?
Uns allen ist aufgegeben, unser Leben mit allen Brüchen anzunehmen. Heilsame Spiritualität fördert das Vertrauen, dass in einem immer unvollkommenen Leben Wachstum möglich ist und Sinn geschenkt wird. Wesentlich ist, dass sich niemand über andere erhebt und niemand sich selber verliert.

Eva-Maria Melk-Schmolly
ist Psychotherapeutin und Fachberaterin für Weltanschauungsfragen in der Diözese Feldkirch.
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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