SONNTAG. Der Tag zum Leben | Teil 21
In Zeit und Raum

Naos und Ieron, Kirchenschiff und Altarraum, sind in orthodoxen Kirchen aufeinander zugeordnet. | Foto: Fotolia
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Der Raum der Kirche ist als ganzer der Ort der Versammlung des Himmels, der Erde und der gesamten sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung in Christus. Es gibt nur eine Weihe der Kirche als ganzer. Der ganze Raum der Kirche wird mit dem heiligen Myron gesalbt.

Bei der Kirchweihe ruft der die Reliquien tragende Bischof am Eingang der Kirche (und nicht etwa am Eingang des Altarraums, an der schönen Pforte): „Erhebt euch, ihr Fürsten; erhebt euch, ihr ewigen Pforten…“ Symeon von Thessaloniki sagt dazu: „Die Zelebranten betreten die Kirche, als wäre sie Himmel.“

Und wir erinnern uns an das Theotokion der österlichen Fastenzeit: „Stehend im Tempel Deiner Herrlichkeit glauben wir, im Himmel zu stehen. Gottesgebärerin, himmlische Pforte, öffne uns das Tor Deiner Barmherzigkeit!“ Das bedeutet: Der Tempel als ganzer ist der Himmel auf Erden! Seine Gliederung in Altarraum und Kirchenschiff bedeutet nicht die Monopolisierung der Heiligkeit an einem Ort innerhalb der Kirche, sondern überträgt die dialogische Struktur der Göttlichen Liturgie auf die Organisation des Raums: Altar und Kirchenschiff sind dialogisch aufeinander bezogen:

„Das Kirchenschiff ist zum Altar hin orientiert, in dem es sein Ziel und seinen Zweck findet; andererseits setzt der Altar mit Notwendigkeit das Kirchenschiff voraus und ist, was er ist, nur durch die Beziehung zu ihm. Es stimmt zwar, dass die zeitgenössische liturgische Frömmigkeit den Altarraum als etwas empfindet, das sich selbst genügt und nur den ‚Eingeweihten‘ zugänglich ist, als einen besonders heiligen Ort mit einer nur ihm vorbehaltenen eigentümlichen Heiligkeit, der die Profanität der Laien, die draußen stehen, umso mehr betont. Andererseits ist es nicht schwierig nachzuweisen, dass diese Auffassung ziemlich neu, falsch, vor allen Dingen der Kirche zutiefst schädlich ist.

Sie dient dazu, kontinuierlich jenen der Orthodoxie so fremden ‚Klerikalismus‘ zu nähren, der die Laien zur Zweitklassigkeit degradiert, die vor allem negativ als solche bestimmt sind, die ‚kein Recht haben‘, bestimmte Räume zu betreten, bestimmte Dinge zu berühren, an bestimmten Handlungen teilzunehmen. Und unter der Herrschaft dieser ‚Frömmigkeit‘ hat sich unter uns ein Typ von Priester herausgebildet, der das eigentliche Wesen des Priestertums darin erkennt, die heiligen Dinge vor dem Kontakt mit den Laien streng zu ‚bewahren‘, und der in dieser ‚Bewahrung‘ eine eigentümliche, geradezu lustvolle Befriedigung findet“ (Alexander Schmemann, The Eucharist, St. Vladimir’s Seminary Press. Crestwood, New York 1988).

 

Ikonostase

In diesen Zusammenhang ge-hört auch die Missdeutung der Ikonostase als Schranke, die das Heilige, den Altarraum, vor der Profanierung durch die Gläubigen bewahrt. „Aber so merkwürdig es der Mehrheit der Orthodoxen heute auch erscheinen mag: Die Ikonostase hatte ursprünglich den umgekehrten Sinn: zu vereinen, statt zu trennen. Die Ikone ist ein Zeuge oder mehr noch eine Folge der Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen, des Himmels mit der Erde, die in Jesus Christus Wirklichkeit geworden ist. Alle Ikonen sind im Prinzip Bilder der Menschwerdung Gottes.

Die Ikonostase entspringt der Erfahrung des Tempels als des ‚Himmels auf Erden‘. Sie ist ein Zeugnis dessen, ‚dass das Reich der Himmel nahe ist‘. Wie jede andere Ikone in der Kirche ist sie die Konkretion eines Verstehens der Kirche als sobor (Versammlung), als Vereinigung der sichtbaren mit der unsichtbaren Welt, als Manifestation und Gegenwart der neuen, verklärten Schöpfung.

Es ist tragisch, dass die authentische Tradition der orthodoxen Ikonographie einen langen Prozess der Entfremdung erfahren hat… Die Ikone selbst wird zu einem Bestandteil eines dekorativen Ensembles… Ein Aspekt dieser Tragik ist die allmähliche Degeneration zunächst der Form und dann der Bedeutung der Ikonostase. Aus einem Ordo, einem Gefüge, einer harmonischen Ordnung von Ikonen, die natürlicherweise zu ihrem Halt einer Substruktion (stasis) bedürfen, wird eine mit Bildern geschmückte Wand.

Mit anderen Worten: Das ursprüngliche Konzept wurde in sein Gegenteil verkehrt. Zunächst bedurften die Ikonen einer Wand. Doch heute ist es die Wand, die nach Ikonen verlangt und sich auf diese Weise die Ikonen unterordnet“ (Schmemann, The Eucharist).

Erzabt Peter Sonntag

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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