Religion heute | Teil 2
Im Supermarkt der Werte

Foto: Grafik: Ivan Steiger
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Das Leben ist im Vergleich zu früheren Zeiten – Gott sei Dank – reichhaltiger und spannender geworden.

In den freien Gesellschaften wachsen wir heute mit einer nie gekannten Vielfalt des Angebots an Waren, Informationen, Werten, Weltanschauungen und Lebenschancen auf. Mit der Pluralisierung und Individualisierung hat sich eine bunte Vielfalt von Lebensstilen entwickelt. Sie suggerieren, dass jeder Mensch seine Vorstellungen eines gelungenen Lebens verwirklichen kann. In der Multioptions-Gesellschaft hat man scheinbar sein „ganzes Leben alle Möglichkeiten offen“. In diesem Sinn ist die Grundnorm der Moderne die Selbstbestimmung des Individuums. Die Lifestyle-Kultur propagiert Selbstverwirklichung, Unterhaltung, Erfolg und wirtschaftlichen Nutzen.

Wenig Platz
In einer medial uniformierten öffentlichen Meinung mit dem verbreiteten Lebensgefühl „Ich will alles, und das sofort!“ scheint für religiös-spirituelle Werte nur sehr wenig Platz zu sein. Es wird immer schwerer, in den alltäglichen Sachzwängen, der Kultur der Beschleunigung, im Lärm der Unterhaltungsmedien und der Unsicherheit menschlicher Beziehungen eine Sinnfindung im Glauben zu entwickeln.
In der Lebenswelt der meisten Menschen spielt Religiosität im Supermarkt der Weltanschauungen nur eine geringe Rolle.

Dabei wird die Pluralisierung der Lebenswelt nach dem Motto „Alles ist möglich“ unterschiedlich erfahren: Für die meisten ist sie interessant, unterhaltsam, freier und menschlicher als in früheren Zeiten, für manche hat die Vielfalt des Sinnangebotes allerdings zu Orientierungslosigkeit, Überforderung und Unzufriedenheit geführt. So meldet sich bei vielen Menschen die Frage nach dem Sinn des Lebens, gesucht wird seelische Geborgenheit. Es gibt ein Bedürfnis nach Spiritualisierung des alltäglichen Lebens. Die Wiederentdeckung der Spiritualität scheint aber eher ein Bedürfnis nach dem „Mehr“ im Leben und dem persönlichen Heil zu sein als ein wirkliches Interesse an Religion.

Denkmöglichkeiten des Glaubens vorleben
Dennoch scheint der persönliche Glaube für viele weiterhin wichtig zu sein. Die in der Europäischen Wertestudie in Österreich erhobenen Einstellungen zu Religion und Glauben sind überraschend konstant. So bezeichnen sich fast zwei Drittel der Bevölkerung selbst als religiös, und drei Viertel der Befragten geben an, an Gott zu glauben, dabei ein Drittel an einen persönlichen Gott. Deshalb könnte es in der pluralistischen Gesellschaft zur wichtigsten Berufung für Christen werden, die „Denkmöglichkeit“ eines reflektierten und sinnstiftenden Glaubens vorzuleben. Dann könnte Religion auch in Zukunft Relevanz haben.

3 FRAGEN AN

Andreas Kresbach ist in Graz aufgewachsen, derzeit in Wien als Jurist im Bereich Kinderrechte und als Autor (kirchen-)politischer Themen tätig.

Ist der Trend zur Spiritualität eine Renaissance der Religion?
Bei dem zu beobachtenden spirituellen Interesse handelt es sich eher um eine psychologisch ausgerichtete Wohlfühl-Strategie als Religionsersatz, als dass es Glaube und Vertrauen in einen persön-lichen Gott ist.

Was könnte da eine moderne christliche Position sein?
Wenn es Christen gelingt, in der allgemeinen Sinnsuche die Frage nach Gott aufrechtzuerhalten und heilsame Lebensperspektiven aufzuzeigen, werden sie von ihrer Mitwelt gewiss als „Licht in der Welt“ wahrgenommen.

Glauben in der Welt von heute, geht das?
Entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil, ein vom religiösen Glauben geprägtes Leben sei mit einem modernen Lebensstil nicht vereinbar, können Christen beweisen, dass ein selbstbestimmtes Leben und ein selbstverantworteter Glaube kein unlösbarer Widerspruch sein müssen.

BUCHTIPP
Andreas Kresbach: Ein neuer Geist
für den Glauben in der Welt von heute. Religion in Zeiten von
Pluralismus und Individualismus.
LiT Verlag 2023, ISBN: 978-3-643-51146-1, 218 Seiten, broschiert,
29,90 Euro.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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