Mutworte - Christa Carina Kokol
Ein unvollkommenes Chamäleon

Foto: Neuhold

Vielleicht kennen Sie die Geschichte vom kleinen Chamäleon, das keine Tarnfarbe annehmen konnte und stattdessen zur Kontrastfarbe wechselte. Versteckte sich der Junge mit anderen Chamäleons in blauen Blüten, sah man ihn in grellem Orange herausleuchten.

An einem schönen Sommertag, als sich einige Chamäleons auf Abenteuertour begaben, lief unser Junge traurig, da wegen seines „Makels“ ausgegrenzt, in angemessenem Abstand hinterher. Immer weiter entfernten sich die Chamäleons von zu Hause, bis sie den Rückweg aus den Augen verloren hatten.

Verzweifelt wurden sie von den Daheimgebliebenen gesucht, doch blieben sie durch ihre Tarnfarbe unentdeckt. Nur das kleine Chamäleon strahlte vor dem rot gefärbten Abendhimmel in leuchtendem Grün und rettete damit die ganze Gruppe.

Nach längerer Zeit bin ich wieder einem jungen Mann mit Trisomie 21 (landläufig als Down-Syndrom bekannt) begegnet. Bei unserer Begrüßung war kein vorwurfsvolles „Wieso meldest du dich nie?“ in sein Gesicht geschrieben, sondern reine Wiedersehensfreude. Sein strahlendes Lächeln „rettete“ einen für mich schwierigen Tag.

Kein Mensch ist vollkommen, jeder ist einzigartig. Auch unser eigenes Anderssein, unsere Mängel und Beschneidungen dürfen wir nicht als Makel sehen, sondern als Möglichkeit und Chance. Bis wir zur einmalig- vielfältigen Ganzheit gelangen.

In dieser Hoffnung ist Mariä Himmelfahrt auch unser persönliches Fest.

Christa Carina Kokol
ist dipl. psychotherapeutische Beraterin in Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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