Gastkommentar von Gudrun Sailer
Kein Machtwort - weit und breit

Gudrun Sailer | Foto: Carlota Smeds

Noch selten hat ein Schreiben von Papst Franziskus so viel Zustimmung bei konservativen und so viel Enttäuschung bei reformorientierten Kräften der katholischen Kirche ausgelöst wie „Querida Amazonia“. „Nicht gut, aber das Beste, was von diesem Papst zu erwarten war“, lautete das Urteil auf der einen Seite. „Überflüssig und mutlos“ auf der anderen. Beide Lesarten sind ext­rem. Extrem selbstbezogen, meine ich. Warum? Weil beide engen und vorwiegend westlichen Denkmustern gehorchen und im Kern nur auf das eine schielen: den priesterlichen Zölibat. Beiden Seiten geht es da ums Grundsätzliche, nicht etwa um die außerordentlich konkrete sakramentale Not in Amazonien, die ist der Anlass, uns mit uns selbst zu beschäftigen und dem, was wir für gut und recht in der Kirche halten.

Doch was tut Franziskus? Er passt. Erwähnt den Zölibat nicht einmal. Verteidigt ihn nicht, lockert ihn nicht. Stattdessen rät er zu anderen Wegen, damit Gläubige am Amazonas Messe feiern und beichten können: die Bischöfe der neun Amazonasländer könnten ihre – ziemlich vielen – Priester aus Nordamerika und Europa abberufen und in den Regenwald entsenden. Würde allein Kolumbien seine 1.200 im Westen eingesetzten Priester nach entsprechender Vorbereitung an den Amazonas schicken, wäre der Priestermangel dort behoben.

Als Katholiken sind wir es gewohnt, dass Päpste Machtworte sprechen. „Querida Amazonia“ ist die Verweigerung eines Machtwortes in der Zölibatsfrage. Kein Hopp oder Dropp wird hier vorgelegt, nicht einmal in Fußnoten. An keiner Stelle und bei keinem Thema überschreitet Franziskus das geltende katholische Lehramt oder auch eines seiner eigenen prophetischen Dokumente. Und wenn das kluge Absicht wäre? Ein sich zurücknehmender Papst, der möchte, dass Dinge in Ortskirchen langsam, gut und in aller Stille heranreifen können, wozu aufsehenerregende Papst-Dekrete einstweilen nichts nützen? Ein Papst, der sieht, dass die Kirche heute nicht noch mehr Spaltung und Selbstbezogenheit braucht? Ein Papst, der, wie er uns von Anfang an wissen ließ, nicht Räume der Macht besetzen, sondern Prozesse anstoßen will (Evangelii Gaudium, 223)?

Schauen wir auf das ganze Dokument. Die stärksten Passagen sind die, in denen der Papst gegen die Ungerechtigkeiten gegen Mensch und Ökologie in Amazonien anschreibt: Morde an Indigenen, Brandrodung, Ausbeutung, Vergiftung, Sklaverei, Korruption: Empört euch! Und ändert euren Lebensstil! Das ist in Wahrheit der Aufruf des Papstes an uns im Westen. Ein Aufruf, der wirklich Leben und Tod geknechteter Menschen und geschundener Natur in den Blick nimmt. Das ist es, was uns alle angeht. Wenn es uns ernst ist mit christlicher Solidarität, darf dieser Aufruf nicht verschwinden in kleinlicher Erleichterung oder Enttäuschung über das Schweigen zur Zölibatsfrage.

Gudrun Sailer hat Vergleichende Literaturwissenschaft, Romanistik und Philosophie studiert und ist seit Februar 2003 Redakteurin bei Radio Vatikan in Rom.

Anm.: Gastkommentare geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion von Kirche bunt wieder.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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