Zu Besuch bei ELIJAH in Siebenbürgen
Der Rabenvater

Frische Erdbeeren aus dem Garten - ein gutes Leben im Kinderhaus. | Foto: Hanzmann
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  • Frische Erdbeeren aus dem Garten - ein gutes Leben im Kinderhaus.
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Siebenbürgen im heutigen Rumänien – seit zehn Jahren bauen der charismatische Jesuitenpater Georg Sporschill und Ruth Zenkert ein Sozialprojekt nach dem anderen auf. In den verlassenen Dörfern der Sachsendeutschen leben heute Kinder, Roma-Kinder mit ihren Familien, die es einmal besser haben sollen. Am Ende der Projekte von ELIJAH steht oft – das weiß Pater Sporschill – dass das Glück stärker ist. Ein Lokalaugenschein zwischen Hügeln, Schulen, Armut, Hoffnung, Musik, Tanz und viel Lebensfreude.

Zweifelsohne ist es richtig schön in Siebenbürgen. Rund um Sibiu, die alte Stadt der Sachsendeutschen, die als Hermannstadt bekannt ist, sieht man die jahrhundertealte Kulturlandschaft. Seit der Wende nach dem Kommunismus vor mehr als dreißig Jahren sind die Dörfer mit ihren schmucken Höfen heruntergekommen, bis zwei kamen: 2012 begannen Pater Georg Sporschill und Ruth Zenkert mit der Wiederbelebung der Region. Jetzt werden die früher Ausgegrenzten in die Orte geholt und integriert: die in Rumänien nicht gut angesehenen Roma, oft abfällig als „Raben“ tituliert (siehe Kasten). Das Grundproblem ist die fehlende Bildung der Kinder und ihrer Eltern. „Fromm sind sie alle, da kann ich noch etwas lernen“, lacht Pater Sporschill, aber lesen und schreiben können nur wenige. So wird in den sozialen Werken von ELIJAH an vielen Lebenspunkten der Menschen angeknüpft.

Ich lebe mit den Roma und arbeite nicht für sie.

Angesiedelt sind alle Projekte in liebevoll revitalisierten Häusern mit bunten Blumen in den Gärten. Tiere sind überall willkommen: Pferde sind auch heute noch wichtige Arbeitstiere in den Roma-Siedlungen, ebenso Schafe. Im Waisenhaus „Casa Ilie“ sammelt ein Mädchen Eier von den zufrieden scharrenden Hühnern ein. Ruth Zenkert hat sogar nach dem Tod ihres Vaters dessen Katze nach Marpod übersiedelt. Pater Sporschills Hund Simsalabim, kurz Simsa, hält den 76-Jährigen bei den täglichen Spazierwegen über die Hügel fit. Simsas Mutter Abrakadabra wacht über die beliebte Musikschule in Neudorf/Nou, nur wenige Kilometer entfernt.

Die Idylle trügt nicht, dennoch ist jedem klar, dass hier Tag für Tag professionelle Sozialarbeit passiert. „Ich bin unglücklich, wenn ich Straßenkinder sehe, aber viel öfter bin ich glücklich“, sagt Pater Sporschill, der als Gründer und Initiator hinter den Unternehmungen steht. Angefangen hat er am Bukarester Bahnhof, um gestrandete Menschen wiederaufzurichten, seinem Lebensmotto aus dem Talmud gemäß: „Wer ein Leben rettet,
rettet die ganze Welt“. Natürlich gibt es Rückschläge. Auch im Schülerwohnheim in Sibiu gab es schon einen Diebstahl. Im Kinderhaus „Casa Ilie“ ist zu Beginn ein Kind weggelaufen. Es kannte einfach kein geregeltes Leben. Heute pflücken die Kinder stolz die süßen Erdbeeren und zeigen Gästen ihre Dusche.
Im Team von ELIJAH denkt niemand daran, aufzugeben. Sei es die Regionalverantwortliche Antoaneta Ghisioiu, die kompetente Allrounderin, oder Zivildiener Fridolin aus Wien, der stolz mit den Kindern die Hymne von ELIJAH singt und den Text übersetzt: „Wir singen mit ganzem Herzen, Ruth und Pater sind mit uns.“ Pater Sporschill formuliert es so: „Ich lebe mit den Roma und arbeite nicht für sie.“

Die Schicksale ähneln einander. Wenn die junge Frau im kleinen bescheidenen Haus mit Tränen in den Augen erzählt, dass ihr Mann in Deutschland einen Unfall hatte, bekommt das Problem der Roma ein konkretes Gesicht. Die Väter sind nicht selten abwesend, weil sie keine Arbeit haben oder finden. Die Mütter bleiben alleine für ihre Kinder verantwortlich zurück, oft für immer. Daher erhalten die Frauen die Mietverträge für die kleinen Häuser, damit sie zumindest ein Dach über dem Kopf haben. Die Generation vor ihnen hat noch außerhalb des Dorfes im Wald gewohnt. Perspektiven gibt es wenige, aber die Kinder können heute eine Schule besuchen. In der nächsten Generation wird sich zeigen, welche Veränderungen diese Kinder in der Gesellschaft schaffen werden.

Besonders erfolgreich präsentieren sich die Musikschulen. Mit Feuereifer lernen schon die jüngsten Volksschüler Musikinstrumente. Nach wenigen Monaten haben sie keine Scheu aufzutreten: Da führt der zehnjährige Ali seine Tanzpartnerin zum Walzer, die Jugendlichen singen, swingen und spielen auf. Die alte Kirche der Deutsch-Sachsen ist am Verfallen, die Kanzel hängt nur mehr windschief in den Angeln, in luftiger Höhe nisten Vögel. Den Kindern ist das völlig gleichgültig, sie erfüllen den Raum mit ihren Melodien. Alle klatschen.

Ich bin unglücklich, wenn ich Straßenkinder sehe. Aber viel öfter bin ich glücklich.

Ebenfalls klar ist, dass das mittlerweile auf 21 Projekte angewachsene Sozialwerk ohne Hilfe nicht aufzubauen und zu betreuen ist. Pater Sporschill und Ruth Zenkert haben ein dichtes Netzwerk an Förderern und Spendern sowie Sponsoren. Das Stift Klosterneuburg hat vor 20 Jahren ganz bewusst entschieden, 10 % seines wirtschaftlichen Ertrags an Sozialprojekte weiterzugeben. Augustiner-Chorherr Anton Höslinger ist als Kämmerer des Stiftes für die Abwicklung verantwortlich. Über die Jahre hat er eine Beziehung zum Team von ELIJAH aufgebaut: „Es ist schön, dass wir bei jedem Besuch sehen, wie viel passiert und weitergeht.“ Zusätzlich begleiten ihn Mitarbeiter des Stifts auf der jährlichen Projektreise, ja sie können auch vor Ort mitarbeiten. Ein durchaus weltlicher Ansatz der sozialen Verantwortung eines Betriebs. Was ihn freut: „Ausbildungschancen für Kinder verbessern ihr künftiges Leben. Drei ehemalige Straßenkinder leben mittlerweile in Klosterneuburg.“ Einer von ihnen ist sogar Ordensmann geworden.

Anders hat sich Florin entschieden, der bei ELIJAH nur kurz „Beatbox“ gerufen wird. Der talentierte Sozialpädagoge imitiert mit Freude Musikinstrumente und kann jedes Handy und Smartphone reparieren. Beatbox, als Waisenkind aufgewachsen, weiß, welche Sorgen die Kinder haben. Mit zerrissenen Kleidern und viel Gewalterfahrung hat er nach sechs schrecklichen Jahren in einem staatlichen Heim 2006 bei Pater Sporschill Aufnahme gefunden. Beatbox hat viel und fleißig gelernt und ist bis heute geblieben.

Eine weitere Stütze sind Ehrenamtliche aus allen Altersgruppen: Der pensionierte Prokurist Toni war zehn Jahre lang als Rechnungsprüfer tätig. Maturantin Emilia aus Wien dribbelt auf dem Sportplatz. Als Damenfußballerin kommt die Volontärin bei den Burschen und Mädchen gleichermaßen gut an.

Sie alle sorgen zusammen für Wohlfühlräume in einer Gegend, die fast abgeschrieben war und jetzt wiederbelebt ist. Was ELIJAH noch zeigt: Die Integration einer ausgegrenzten Gruppe kann langsam, aber stetig gelingen. Das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsschichten kann einfacher werden. Die Kinder haben weniger Vorurteile und die Musik verbindet über alle Kontinente, denn die Unterstützung kommt manchmal unverhofft: So gibt es einen Musiklehrer aus Südamerika, der mit den Jugendlichen die Europahymne singt.
Wenn Pater Sporschill nachdenkt, meint er: „Ja, wir haben Probleme, aber die jungen Leute, die hier in die Spur eintreten, machen mir Mut. Die Roma haben uns viel zu geben. Sie haben sehr viel Freude. Sie sind nicht nur Diebe und Bettler.“ So erscheint es nicht unpassend, Pater Sporschill „Rabenvater“ zu nennen – ihm gefällt’s.

ELIJAH wächst

Der Rabe des Propheten Elijah ist das Symbol für die sozialen Werke von Pater Sporschill und Ruth Zenkert in Siebenbürgen. Raben brachten dem verfolgten Elijah im Auftrag Gottes „Brot und Fleisch“. In Rumänien ist „Rabe“ ein Schimpfwort für Roma. Doch diese Vögel sind treu, sozial, lernfähig und schlau. Bei ELIJAH leuchten die Talente der Straßenkinder und Romafamilien. In sechs Orten ist der Verein bereits tätig – vom Schülerwohnheim bis zum Bauhof, vom Waisenhaus bis zur Arztordination. Weitere Projekte werden mithilfe des motivierten Teams und der Volontärinnen und Volontäre wachsen: elijah.ro

Autor:

Sophie Lauringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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