Bildung schafft Zukunft | Teil 3
Keine kleinen Kompromisse
- Schulbuchaktion, Schülerfreifahrt, Beihilfen: In Österreich wird durch zahlreiche Reformen der 1970er-Jahre der Bildungszugang stark ausgeweitet. Unter den Angehörigen sozial schwächerer Gesellschaftsschichten profitieren Mädchen ganz besonders. (Im Bild: Sortieren von Schulbüchern im Rahmen der Gratis-Schulbuchaktion im Jahr 1972.)
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Serie zum Weltmädchentag (11. OKt.)
Die 1970er-Jahre bringen den Beginn der Bildungsgleichstellung
Bildung durchbricht Armut, heißt es. Demnach markiert die Zeit um 1970 für Frauen und Mädchen in Österreich den Beginn des finanziellen Aufstiegs.
Neue Gesetzeslage
Einschneidende Veränderungen kamen mit dem Schulpflichtgesetz ab dem Schuljahr 1966/67. Die achtjährige Schulpflicht wurde um ein Jahr erweitert und das neunte Pflichtschuljahr für alle SchülerInnen eingeführt. Bildungsanbieter wie die Grazer Schulschwestern entschieden demzufolge, die Ausbildung der ihnen anvertrauten jungen Frauen im Kärntner Döllach dem Lehrplan einer ganzjährigen Haushaltungsschule anzupassen, schreibt Rosa Maria Lanzinger (siehe Buchtipp). Für den Unterricht der Mädchen und Frauen aus der strukturschwachen Region um den Großglockner bedeutete dies eine Vertiefung der theoretischen Unterrichtsgegenstände, eine intensive Berufsorientierungsphase und die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten zur Vorbereitung auf die duale Berufsausbildung, die Theorie mit Praxis kombiniert. Langfristig sollte damit die Fachausbildung gefördert und der Anteil der ungelernten Arbeitskräfte gesenkt werden.
Neues Rollenverständnis
Die Fächer Kochen, Servieren, Nähen, Werken und Haushaltstechnik der Einjährigen Haushaltungsschule bereiteten sowohl auf eine Lehre im touristischen Bereich als auch auf die Familienarbeit vor, schreibt Lanzinger.
Seitens des Staates wurde das Ansinnen der Grazer Schulschwestern, Bildung auch Mädchen und jungen Frauen aus bildungsfernen „Schichten“ zu ermöglichen, durch die Reformen der Regierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (1911–1990) rechtlich untermauert. Im Rahmen seiner 13-jährigen Kanzlerschaft kamen Gesetzesänderungen auf den Weg mit dem Ziel, aus Mädchen gut ausgebildete Frauen werden zu lassen.
Neue Gesellschaftsordnung
Am Beginn der Bildungsgleichstellung standen in Österreich Gesetzesnovellen der SPÖ-Alleinregierung. Unter Hertha Firnberg – nach der ÖVP-Politikerin Grete Rehor die zweite Frau in der Geschichte, die hierzulande ein Ministerium leitete – wurden Maßnahmen beschlossen, die Kindern aus sozial benachteiligten Familien den Bildungszugang massiv erleichterten: In strukturschwachen Regionen mit ausgedehnten Wegstrecken zwischen Wohn- und Bildungsort bewogen Schülerfreifahrt und Gratisschulbuchaktion Eltern zusehends dazu, auch ihre Töchter auf Maturaschulen zu schicken. Daneben ließen Investitionen in den Schulbau Bildungsanbieter wie die Grazer Schulschwestern ihre Einrichtungen ausbauen. Und schließlich führte die Implementierung eines demokratischen Universitätsgesetzes dazu, dass heute der Frauenanteil an Österreichs Unis überwiegt.
So bereiteten die Bildungsreformen der 1970er-Jahre zigtausend österreichischen Frauen die Basis für ein selbstbestimmtes Leben.
Anna Maria Steiner
Hertha Firnberg
Im Jahr 1970 wird Hertha Firnberg (1909–1994) von der Regierung Kreisky mit der Gründung eines Wissenschafts- und Forschungsministeriums beauftragt. Als Ministerin setzt sie sich stark für Mädchen- und Frauenbildung ein – mit dem Ergebnis, dass heute die Zahl der Studentinnen um fast 1000 Prozent höher ist als bei ihrem „Dienstantritt“ 1970.
Wir brauchen keine Politik der kleinen Schritte, der kleinen Wünsche und der kleinen Kompromisse, sondern eine neue Gesellschaftsordnung, in der Frauen die ihnen zukommende Rolle spielen müssen.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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