Werke der Barmherzigkeit - 2007/2008 | Teil 04
Fremde beherbergen

 

Für die Israeliten hatten die „Liebeswerke“, also die Taten mitmenschlichen Handelns, einen höheren Stellenwert als das Spenden von Almosen. Ja, die „Liebeswerke“ waren sogar wichtiger und verdienstvoller als die Gebote der Tora. Da steht Jesus ganz konsequent auf dem Boden seiner jüdischen Religion und ihrer unbedingten Hochschätzung tätiger Nächstenliebe.

Dazu gehört auch das Beherbergen von Fremden, wie es wiede­rum in Mt 25,35 als drittes „Werk der Barmherzigkeit“ genannt wird. Und wiederum habe ich den Eindruck, dass die Bibelübersetzungen ein wenig abschwächen, was Jesus meint. „Xénos“ ist nicht nur der Fremde, sondern sogar jener, der in feindlicher Absicht kommt; es bedeutet „feindselig“, auch „unbekannt“, „fremdländisch“. Und „synágere“ ist nicht nur „beherbergen“, also wie ein Hotel oder eine Herberge, sondern in den Kreis der Familienmitglieder aufnehmen. Es erinnert daran, dass Jesus die Feindesliebe proklamierte und dass er dazu aufforderte, die Nächstenliebe an der Selbstliebe zu messen. – Auf einem Kalenderblatt fand ich den anonymen Spruch: „Achten Menschen sich selbst, so achten sie gewöhnlich auch Fremde.“

Wir befinden uns also wieder auf der ziemlich radikalen Linie Jesu, der harte Forderungen stellte. Das „Liebeswerk“ der Aufnahme von Fremden ist natürlich ein Stachel im Gewissen unserer westlichen Gesellschaft. Denn der Zustrom von Fremden ist bisher nicht bewältigt, und die Methoden, sich die Fremden vom Hals zu halten, sind bisweilen brutal. Ich habe kürzlich von einer Familie gehört, die in ihre kriegszerstörte Heimat abgeschoben wurde. Während die Mutter auf dem Ausländeramt um Verlängerung ihrer Duldung nachsuchte, wurden die minderjährigen Kinder von der Polizei eingefangen, als sie über einen Acker neben ihrem Asylbewerberheim fliehen wollten; die Jagd auf die Kinder, die einer sonst alljährlich an gleicher Stelle stattfindenden Treibjagd auf Reh-Wild nicht unähnlich war, war schließlich „erfolgreich“: Die Kinder wurden in einen Polizeiwagen geladen, zur Mutter gebracht und mit ihr zusammen in das nächste Flugzeug Richtung Mazedonien verfrachtet. Das ist ganz gewiss nicht die Art, die Jesus mit der gastlichen Aufnahme von Fremden meinte, und es ist wahrscheinlich noch ein langes Stück Wegstrecke, bis sich Politik und Gesellschaft auf eine menschenwürdige Behandlung Fremder geeinigt haben.

Im Buch Deuteronomium steht das Wort: „Verflucht sei, wer das Recht des Fremden beugt!“ Mehrmals wird im Alten Testament gesagt, dass wir eigentlich vor Gott immer wie Fremde sind, also wie solche, die sich dem Wohlwollen Gottes anvertrauen.aus: …das habt ihr mir getan

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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