Positionen - Christian Teissl
Ganz Gegenwart
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„Begegnung“: ein Wort, oft bemüht und beschworen, ein Leib- und Seelenwort, ein Name für etwas, das wir ersehnen und das uns immer wieder zwischen den Fingern zerrinnt. Dabei war es noch nie so einfach wie heute, zusammenzukommen, wenn schon nicht face to face, dann wenigstens per Distanz, auf einem der vielen digitalen Kanäle. Wo immer man ist, man ist in Kontakt, gibt Nachricht, sendet und empfängt Zeichen aller Art, vom „Ich brauche von dir dies und das“ bis hin zum schlichten „Ich denke an dich“.
Tagein, tagaus kreuzen sich die Wege; man trifft sich in vertrauter und in fremder Umgebung, bei der Arbeit und am Feierabend, auf öffentlichen Plätzen und im privaten Bereich – doch was davon ist Begegnung? Welchem Menschen, den man im Laufe eines Tages getroffen hat, ist man wirklich begegnet?
Vielleicht sind die eigentlichen Begegnungen gerade jene, auf die man nicht aus war, die einem zugefallen sind, und sei es durch ein Missgeschick – einen verpassten Zug, ein verfehltes Ziel, einen Umweg –, ein unfreiwilliges Innehalten, wenn die Zeit sich plötzlich ausdehnt und der Blick sich weitet für das, was zu uns in Beziehung tritt und nichts weiter verlangt als unsere ganze Gegenwart.
Christian Teissl
teissl@mur.at
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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