Kloster auf Zeit in der Schweiz

Stift Einsiedeln | Foto: Stift Einsiedeln
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Es ist Mai 2021 und ich stehe auf einem gepflasterten, sonnigen Platz, vor mir erbauen sich Arkaden, umgeben von zwei Pav illons. In der Mitte führt eine prächtige Treppe hinauf und lenkt meinen Blick auf die mächtige barocke Front mit ihren beiden 60 Meter hohen Türmen.

Ich befinde mich im größten Wallfahrtsort der Schweiz: Einsiedeln. In jenem Ort steht das Benediktinerkloster Einsiedeln, in dem aktuell 42 Mönche ihr Zuhause gefunden haben. Ich werde in den nächsten vier Monaten mit ihnen mitleben, denn ich nehme am Projekt „Klosterzeit“ teil, einem Projekt, das jungen Menschen zwischen 18 und 30 Jahren die Möglichkeit bietet, zwischen sechs und zwölf Monaten (bei mir waren es aufgrund der COVID-19-Pandemie nur vier Monate) in verschiedenen Benediktinerklöstern in aller Welt mitzuleben.

„Wir Benediktiner haben hervorragende Voraussetzungen, eine solche Auszeit anzu-
bieten.“

Die Initiative für das seit 2018 bestehende Projekt hatte Pater Thomas Fässler, selbst Benediktinermönch in Einsiedeln. „Der Ursprung der Idee liegt in der Beobachtung, dass viele junge Menschen heute nach der Matura, nach dem Abschluss ihrer Berufslehre, in der Zeit zwischen Militärdienst und Studienbeginn oder nach dem Empfang des Bachelor- bzw. Masterdiploms eine Auszeit nehmen. Während einige während dieser Monate die Welt bereisen, möchten sich andere bewusst in den Dienst für andere stellen, sich sozial engagieren und dabei ihren Horizont erweitern“, erklärt Pater Thomas. „Wir Benediktiner haben hervorragende Voraussetzungen, eine solche Auszeit anzubieten, indem wir eine weltumspannende Gemeinschaft bilden, die in vielen Kultur- und Sprachregionen dieser Erde mit Klöstern präsent ist.“

Seine „Klosterzeit“ kann man in Einsiedeln und/oder in den verschiedenen anderen Benediktinerklöstern, die am Projekt teilnehmen, verbringen. Mindestens drei Monate kann man in einem Kloster mitleben; in bis zu drei verschiedenen Klöstern ist eine monastische Auszeit möglich. Der Beginn der „Klosterzeit“ führt stets für fünf Einführungstage nach Einsiedeln. Nach den Einführungstagen, in denen man Arbeiten verrichtet, aber auch tägliche Einführungen in das Leben der Mönche erhält, bleibt man, so wie ich, in Einsiedeln oder reist in eines der anderen Klöster. Am Ende der „Klosterzeit“ kommt man abermals für fünf Tage nach Einsiedeln zurück, um das Erlebte Revue passieren zu lassen.

Offene Weite eines weltweit vernetzter Ordens

Die Liste der teilnehmenden Klöster ist prominent besetzt. Beginnend mit Einsiedeln selbst, enthält die Liste mit der Down-side Abbey in England, der Abtei Saint-Benoît de Fleury in Frankreich, der Dormitio Abtei Je-
rusalem in Israel, dem Priorat Tabgha in Israel, der Abtei Santa Maria de Montserrat in Spanien, dem internationalen Studienhaus Sant’ Anselmo im italienischen Rom und dem österreichischen Stift Kremsmünster acht europäische Namen. Jedoch auch weiter entfernt kann man als „Klosterzeitler“ in der benediktinischen Abtei Waegwan in Südkorea, in der Abtei Los Toldos in Argentinien und in den beiden amerikanischen Benediktinerabteien St. John und St. Meinrad mitleben.

Zurück nach Einsiedeln. Zwischen den vier Gebetszeiten (Laudes, Mittagsgebet, Vesper, Komplet) und einer täglichen heiligen Messe, in der ich öfters ministriere, verrichte ich diverse Aufgaben. Garten- und Reinigungsarbeit, bei schlechtem Wetter Tätigkeiten am Computer oder aber auch die Mithilfe bei den Vorbereitungsarbeiten für die Versammlung der Schweizer Bischofskonferenz in Einsiedeln sind Auszüge meiner interessanten Beschäftigungen im Kloster. Die Aufgaben werden individuell auf die jungen Männer abgestimmt, wobei man von der Werkstatt über die Küche bis hin zu künstlerischen Arbeiten in vielen Einsatzbereichen, wo Hilfe benötigt wird, eingesetzt werden kann.

Mitleben im Rhythmus des Klosterlebens

Während der Klosterzeit in Einsiedeln werden die Teilnehmer eng in den Alltag der Mönche eingebunden, sodass sie ein möglichst realistisches Bild eines Lebens als Mönch bekommen können. Mittag- und Abendessen nehmen die „Klosterzeitler“ im Speisesaal der Mönche zu sich und auch beim anschließenden Kaffee sind sie herzlich eingeladen. Manchmal wird man von Mönchen auch zu Ausflügen eingeladen. Die Arbeiten werden Montag bis Freitag verrichtet, zu den Gebetszeiten wird man täglich erwartet. Somit bleibt während der Wochenendtage und der Urlaubstage (man hat pro dreimonatiger „Klosterzeit“ zirka fünf Tage Urlaub, an denen man weder zu den Gebets- noch zu den Essenszeiten erscheinen muss) genug Zeit, um sich die Schönheiten der Schweiz näher anzuschauen.

„Berufungsgenerator“ und persönliche Berufungswege

Für am Kloster- bzw. Ordensleben Interessierte hat P. Thomas mit der Hilfe eines Mitbruders auch eine Homepage samt dazugehörigem Buch geschaffen. Das Buch soll eine Hilfestellung bei der Frage nach einem Ordenseintritt sein. Auf der Homepage finden sich u. a. ein „Berufungsgenerator“, der zeigen soll, welcher Orden am besten passe, und Berufungsgeschichten junger Ordensleute zum Nachlesen (von der Diözese St. Pölten kann man die Berufungsgeschichten von Frater Elias Krexner aus dem Stift Seitenstetten und H. Stephanus Rützler vom Stift Herzogenburg lesen).

Bis August 2022 haben in den ersten vier Jahren, in denen es das Projekt „Klosterzeit“ gibt, zwölf junge Männer an insgesamt acht Orten ihre „Klosterzeit“ absolviert und dadurch die Chance ergriffen, eine neue Kultur und Sprachwelt zu erleben und den christlichen Glauben neu zu entdecken oder zu intensivieren.
Markus Winzer

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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